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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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später, muss noch darüber nachdenken.«
    »Gabo-man, machst ja auf normal!«, rief Enzo mit einem zustimmenden Schlag auf Gabriels Schulter. »Aber geh nicht gleich zum Kiffen zu den Sufis.« Gabriel schien das nicht komisch zu finden; er behielt sein bedrücktes Gesicht.
    Sie klappten die schmale Ladefläche zwischen den Hintersitzen des Samurai auf, stemmten die Kawasaki hoch, das Hinterrad voran, und mussten die Maschine fest verzurren.
    »Enzo, ich ruf dich von den Laglers aus an; vielleicht fliege ich noch am Nachmittag von dort bis Quemquemtréu hinunter und hole mir bei euch mein Auto.«
    »So spät ist kaum noch Thermik drin, man. Brich dir nicht das Genick! Okay? Wo ist dein Helm?«
    Gabriel lachte und schüttelte den Kopf. Er strich sein langes schwarzes Haar straff zurück und bündelte es am Hinterkopf mit einem strassglitzernden Gummiband zusammen.
    Enzo lachte ebenfalls: »Das Glitzerding ist doch für Mädchen,man! Treibt man’s so bunt bei euch? Du weißt, ich dürfte dich gar nicht fliegen lassen, Fräulein SOPI – keinen Helm, kein Handy …«
    »Red keinen Scheiß, lockere dich, schau erst mal in das Blaue Büchlein des Verrückten hinein, es liegt im Handschuhfach.«
    »Bin doch nicht meschugge, Gabo-man!«
    Enzo half noch dabei, den Gleitschirm aufzurichten. Gabriel hatte sich schon ins Gurtenzeug gesetzt und die Steuerleinen gepackt. Sofort begann der warme Aufwind die Kanäle der Segelfläche aufzuplustern, Gabriel lief, in der Hocke hüpfend, bis zur Felskante vor und ließ sich ins Tal hinausheben. Enzos Blick folgte ihm nur während der ersten Minute. Da erschien ihm Gabriel schon wie eine Puppe unter dem straff geblähten blau-weißen Flügel vor dem Panorama der Gebirgskette. Gabriel wandte sich etwas der Bergwand zu und winkte. Enzo winkte zurück, bestieg eilig den Samurai und machte sich an die Abfahrt.
    In dem Slalom einer Staubwolke verfolgte Gabriels Blick das Fahrzeug den steilen Weg hinunter; zu hören war nur fernes Brummen. Ein warmer Luftstrom drängte ihm entgegen; es zischelte im Flugkörper. Jedes Mal bedeutet ihm dieses Abheben viel mehr als bloß ein physisches Ereignis. Heute kam noch das Gefühl dazu, dass er von der Schaler-Gemeinde abhob. Ekel, Verstimmung, Enttäuschung waren nötig gewesen, damit er sich nun, nach wenigen Minuten des Schwebens, schon freier fühlte.
    Tief unter sich, auf dem letzten Buckel vor dem See – auf dem patagonischen »Monte Verità« –, sah er sie wieder, die drei Bauwerke: Kuppel, Kubus, Kreis. Ebenso war ihm diese Geometrie bei seinem ersten Flug vor zwei Jahren aufgefallen. Daraufhin war er zu ihnen gepilgert.
    Zuerst zur Kuppel: In der Mitte des Parks, zu der ein Kiesweg führte, stand, wie ein Gartenpavillon, die putzige Moschee, gekrönt von einer rundum überhängenden, abgeflachten Kuppel. Das gab ihr das Aussehen eines Pilzes in einem Märchenszenario. Ein paar Schafe und ein gewaltiger Widder hielten das Gras ringsum kurz. Wie er später erfuhr, hatten die Sufisten einen Bootsbauer mit der Anfertigung der Kuppel aus Kunstharz beauftragt. Dieser hatte nicht nur sein Bootskörpermodell auf die Kuppelform übertragen, man hatte ihm auch noch einen Meter zu viel Durchmesser angegeben. Als die Kuppel kam, war das reich ornamentierte Mauerwerk bereits errichtet, man wollte es nicht mehr abreißen, und so setzte man ihm einfach die überhängende Kappe auf. Von seiner Asienreise inspiriert, hatte Gabriel zuerst den Imam aufsuchen wollen. Es empfing ihn ein großer, beleibter Mann in weiten Kleidern, ein Argentinier, dem eine starke, aber unbestimmbare Ausdünstung voranging und dessen olivenschwarze Augen ölig glänzten. Er hatte im Gespräch einladend angedeutet: Die Sufi-Bruderschaft meide Cannabis als spirituelle Medizin keineswegs. Doch das hatte der Besucher ja schon ausprobiert, unter Hindus und Moslems und allein – ergebnislos. Als er enttäuscht zum Parkausgang zurückkehrte, drehte sich der Widder ihm zu und senkte den Schädel unter der Last seines riesigen Gehörns. Gabriel verdoppelte seinen Schritt. Bereits in vollem Sprint erreichte er zur rechten Zeit das Tor und konnte es dem heranschnaubenden Bock gegen die Stirn schlagen.
    Dann eben zum Kubus: Nicht weit entfernt von der kleinen Moschee, hoch über dem See, lag der cremefarbene »Berghof«, unter grauem Schindeldach, mit grünen Fensterläden und einer geräumigen Terrasse, die einen prächtigen Panoramarundblick bot. Enzos Großvater, Fritz Cirigliano, einst

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