Scherbenmond
stete Geschrei der Möwen, die in Schwärmen die Hütte umkreisten und mich neugierig aus ihren starren Pupillen beäugten.
Das Meerwasser aus meinen Haaren und Klamotten hatte einen kleinen See auf dem Boden hinterlassen. Ich warf meine feuchten Kleider hinein, wischte das Wasser damit auf und schmiss sie achtlos auf den Balkon. Nur die Unterwäsche hängte ich über den Ofen, den Colin neben dem Bett aufgestellt hatte und der auf Hochtouren lief. Ich konnte die Holzscheite in ihm knistern und krachen hören. Also war Colin noch nicht lange weg ... Der dünne Stoff von Slip und Hemdchen begann sofort zu dampfen und ein zartes Waschmittelaroma erfüllte die salzige Luft.
Auch ich selbst war salzig. Sandreste klebten zwischen meinen Zehen und knirschten in meinem Mund und abgerissene Algen schmückten meine bleichen Waden wie florale Tattoos. An meine
Haare wollte ich gar nicht erst denken. Das Schönheitsprogramm heute Morgen hätte ich mir sparen können. Es war hinüber.
Bis meine Unterwäsche trocknete, würden Stunden vergehen. Die Sachen aus dem Rucksack waren ebenfalls unbrauchbar. Ich schüttete das Wasser, das sich in ihm gesammelt hatte, in die kleine Spüle neben dem Minikochfeld und reihte meine ruinierten Habseligkeiten nebeneinander auf dem Boden auf: ein klitschnasser Kulturbeutel samt eingeweichten Schminkutensilien, eine aufgequollene Bürste, mein Handy (dank Schutzhülle intakt, aber ohne Empfang), Slip, Hemdchen, das Bündel Geldscheine, eine Dose Haarspray (was zum Henker hatte ich eigentlich damit vorgehabt?), eine Tube salzverkrustete Bodylotion. Und eine Packung feuchtes (haha) Toilettenpapier. Nach dem hatte ich mich nämlich gesehnt, als Andi und ich damals »fertig« gewesen waren. Und jetzt?
Meine Haut glühte zwar, doch das tat sie nur, weil ihre Oberflächentemperatur eben noch gefühlte null Grad betragen hatte. Es war der gleiche Effekt wie nach der Sauna, nur umgekehrt. Ich musste mir dringend etwas überziehen. Aber was?
Mein Blick fiel auf Colins Karatekimono, der über der Lehne des einzigen Stuhles in diesem Raum hing. Ja, der Kimono ... Wie immer packte mich ein Gefühl der Ehrfurcht, wenn ich ihn betrachtete, doch mein eigenes Leben war mir dann doch ein Quäntchen wichtiger als der Respekt vor dem heiligen Dojo und all dem anderen Kampfkunstgedöns. Entschlossen schnappte ich mir das Oberteil, streifte es über und schlüpfte in die Hose. Natürlich war sie zu weit. Ich krempelte den Bund um, musste aber zusätzlich den Gürtel über dem Oberteil verknoten, damit ich sie an meiner Hüfte fixieren konnte. Ich erschauerte, als der seidige Stoff sich schmeichelnd an meine nackte Haut schmiegte. Wie ich wusste, trug Colin niemals Unterwäsche - also auch dann nicht, wenn er Karate machte. Ein sehr belebender Gedanke.
Etwas munterer schaute ich mich in der Hütte um. Entweder war ich bei meinem letzten Besuch vor Angst blind gewesen oder - nein, so blind war ich selbst in heller Panik nicht. Colin hatte das Innere der Hütte verändert, ja, er hatte sie ein wenig eingerichtet. Sich wieder einmal ein Zuhause in der Einsamkeit geschaffen.
»Na, Godzilla«, raunte ich lächelnd und strich über das Bild von Louis, das über dem Schreibtisch hing. Ja, Louis war ein Prachtross, keine Frage. Und doch mochte ich ihn lieber, wenn mir seine schwarzen Samtaugen von einer Fotografie entgegenblickten als aus leibhaftiger Nähe. Nanu, was war denn das? Am Rand der Fotografie haftete ein dünner Zopf, geflochten aus zweierlei Haarfarben -dem warmen Schwarz von Louis´ Fabeltiermähne und einem sehr vertrauten Braun mit Rotstich. Meine Haare? Konnte das sein? Wann bitte hatte Colin mir eine Strähne abgeschnitten? Damals im Sommer? Wie auch immer, ich hatte genug davon und meine Haare waren mittlerweile so unbezähmbar, dass ein paar Hundert mehr oder weniger nicht auffielen.
Ich seufzte leise. Wie sehr Louis ihm fehlen musste ... Colin konnte ihn bestimmt nicht täglich reiten wie bei uns im Wald, wo der Hengst sogar oft direkt am Haus auf seinem Paddock gestanden hatte. Mit leiser Wehmut erinnerte ich mich an den Abend bei Colin, an dem er mir gesagt hatte, was er war - an meinen Schrecken, meine Angst und auch an das tiefe Vertrauen, das ich empfunden hatte. Louis hatte damals seinen Kopf durch das Fenster gestreckt und so zärtlich geprustet, dass ich das Gefühl gehabt hatte, er verstünde, was Colin und mich bewegte.
Colins karierten Kilt suchte ich vergeblich. Ob er am Ende doch
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