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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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du dich noch an ein paar weiteren Metaphern versuchen? Ich rate dir allerdings ab. Du hast darin kein glückliches Händchen.«
    »Wirklich, Colin, ich kann nicht verstehen, warum du noch überlegst. Ich dachte, du bist so scharf darauf zu sterben?«
    Plötzlich stand er dicht neben mir. Ich zuckte zusammen, fing mich aber wieder. Ich sollte mich langsam daran gewöhnen, dass er ab und zu die Gesetze der Schwerkraft und nebenbei auch die von Zeit und Raum außer Betrieb setzte.
    Sein Gesicht war meinem so nah, dass seine Haare sich suchend nach meinen ausstreckten - wie immer müßig und spielerisch. Und damit höchst unpassend in diesem zehrenden Moment voller Anspannung und Furcht. Sie flirteten beinahe.
    »Aber du willst nicht sterben«, raunte er. »Und Paul, nehme ich an, auch nicht. Ich habe es dir schon oft gesagt und ich wiederhole mich nur ungern, Ellie. Mit Mahren ist nicht zu spaßen. Mit Wandelgängern erst recht nicht. Sie töten ihr Opfer, ohne zu zögern, wenn ein anderer Mahr ihnen in die Quere kommt. Schon ein Halbblut reicht aus. Sie dulden niemanden neben sich. Deshalb sollte auch Gianna jeglichen Kontakt zu Paul meiden. Hast du das in deinem hübschen Köpfchen abgespeichert?«
    »Ja«, murmelte ich störrisch.
    »Du bist ihm ebenfalls ein Dorn im Auge. Er will dich weghaben, weil du Paul liebst. Du könntest ihn beeinflussen. Tillmann - er ist wahrscheinlich Gegenstand ewiger Eifersuchtsdebatten, oder?«
    Ich nickte nur. Tillmann war manches Mal aus der Galerie geflüchtet, weil François durchdrehte, wenn Paul ihm nur einen Nagel reichte oder einen Kaffee brachte. Und wie mich sprach François Tillmann nicht direkt an, sondern redete immer nur in der dritten Person von ihm. Mich selbst hätte er am liebsten eigenhändig in die nächste Geschlossene gesperrt, und zwar auf Lebenszeit. Was Gianna betraf - er war genau in dem Moment in der Wohnung aufgetaucht, als Paul und sie sich zum ersten Mal nahekamen. Das konnte kein Zufall gewesen sein.
    »Es geht hier um Menschenleben, mo cridhe. Mehrere Menschenleben, an denen mir etwas liegt. Und wenn es nur deines ist. Ich möchte nicht euer Sensenmann sein, indem ich ohne Bedacht einen Wandelgänger angreife. Es kann euch allen den Tod bringen. Und deshalb muss ich darüber nachdenken, wie ich diese Gefahr minimieren kann. Ausschließen kann ich sie nicht.«
    »In Ordnung«, hauchte ich, diesmal weder trotzig noch von oben herab. Colins Worte hatten mich mürbe gemacht.
    »Sollte ich mich dafür entscheiden, musst du sowieso Vorarbeit leisten. Du musst herausfinden, wie alt François ist. Und ich meine das tatsächliche Alter.«
    Natürlich, das Alter. Je älter, desto mächtiger. Daran hatte ich in all meiner Sorge gar nicht mehr gedacht.
    »Ich kann mich weder in seine Nähe wagen noch Erkundigungen über ihn einholen, ohne dass es euch in Lebensgefahr bringt«, sprach Colin weiter. »Ich werde jetzt wieder ins Meer gehen, weil es dort dunkel ist. Jansen darf mich so nicht sehen. Ich muss mich beeilen.«
    Ich hob meinen Kopf, um ihn anzublicken. Der erste Sonnenstrahl brach durch die Läden und ich beobachtete gebannt, wie das Schwarz aus Colins Augen wich und einem tiefen, erdigen Grünbraun Platz machte. Schon stahl sich der erste türkisfarbene Sprenkel hinein.
    »Ich könnte stundenlang dabei zuschauen«, flüsterte ich. Colins Mund entspannte sich und ich strich mit den Fingerspitzen über seine geschwungenen Lippen. Da, ein bräunlicher Punkt, dann der nächste auf der Nase ...
    »Du bist die Einzige, die mich Tag und Nacht kennt.«
    Ich wollte mich in seiner Stimme suhlen. Sie ließ mich schweben, als hätte ich kein Gewicht mehr. Befanden sich meine Füße überhaupt noch auf dem Boden?
    »Was tust du da?«, lallte ich. Meine Zunge sperrte sich dagegen zu sprechen, obwohl ich noch so viel sagen wollte.
    »Ich mache dich müde. Es sind meine Farben. Ein Trick unserer Natur, damit jene Menschen, die uns bei Nacht kennen, unseren Anblick bei Tageslicht vergessen. Aber das wirst du nicht. Weil du es nicht willst.«
    »Nein, ich ...« Zu mühsam. Ich konnte den Satz nicht einmal zu Ende denken.
    »Schlaf noch ein bisschen. Du wirst deine Kraft brauchen.«
    Er nahm mich hoch und legte mich auf das Bett. Ich wollte ihn zu mir ziehen, um ihn zu küssen, doch meine Hände waren bleischwer, gehörten nicht mehr zu mir ...
    In meinen Traumbildern kehrte er zurück. Keine Worte, keine Diskussionen, keine Sorgen. Nur die tiefe, geborgene Kühle des

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