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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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klang kläglich und die Enttäuschung in ihrer Stimme schnitt mir ins Herz.
    »Vorerst nicht. Tut mir leid. François ist gefährlicher, als wir ahnten. Wir dürfen ihn auf keinen Fall reizen. Alles Weitere weiß ich noch nicht. Ich hoffe nur, dass Colin ... dass er etwas tun kann. Heute Abend erfahre ich mehr.«
    »Wann wirst du wieder in Hamburg sein?«
    »Oh, so wie ich Colin kenne, schneller, als mir lieb ist«, sagte ich bemüht locker. »Wahrscheinlich setzt er mich heute Nacht noch ins Auto. Ich melde mich, sobald ich Näheres weiß, okay? Tschau.«
    Ausgedehnte Telefongespräche waren noch nie mein Ding gewesen, zum Leidwesen von Jenny und Nicole, die sich stundenlang über die unwichtigsten Nebensächlichkeiten austauschen konnten und mich damit allenfalls zum Gähnen brachten. Gleichzeitig bestanden ihre Mails maximal aus drei Sätzen, garniert mit einer Unzahl von Smileys, während ich im Aufsatzstil versuchte, mein Gefühlsleben zu schildern. Nicole und Jenny - wie weit weg sie waren. Mein ganzes früheres Leben schien sich in einer anderen Erdumlaufbahn abgespielt zu haben. Und doch war es schon geprägt gewesen von dem, was mich jetzt umgab: Mahren.
    Bis zum Sonnenuntergang saß ich auf dem Bett und sah den wandernden Schatten an der Wand zu. Je dunkler es wurde, desto missmutiger und angespannter fühlte ich mich. Was sollte ich tun, wenn Colin sich gegen einen Kampf entschied? Dabei zusehen, wie Paul zugrunde ging? Sich vielleicht sogar das Leben nahm? Schwer krank wurde und niemand in der Lage war, ihn zu heilen? Ihn seinem Schicksal überlassen - das konnte ich nicht. Doch wenn François mich fortekeln wollte, würde er es tun und Paul würde ihm nicht im Wege stehen. Es war mal wieder aussichtslos, wie damals bei Tessa. Und sie spürte uns im Moment nur deshalb nicht auf, weil Colin und mir echtes Glück nicht vergönnt war. Das hatten wir ausgerechnet François zuzuschreiben. Und Colins grausamer Vergangenheit, aus der Tessa persönlich ihn gerettet hatte ... Gerettet? Moment...
    »Warum ist sie gekommen?«, bombardierte ich ihn mit der ersten meiner tausend Fragen, als er kurz nach Sonnenuntergang zurückkehrte. Allem Anschein nach hatte er nicht nur nachgedacht, sondern auch gejagt. »Du warst doch nicht glücklich dort. Warum ist sie gekommen? Wie konnte sie davon wissen?«
    Mit einer nachlässigen Bewegung warf er die feuchten Haare in den Nacken und schüttelte die Nässe heraus.
    »Redest du von Tessa?«
    »Von wem sonst! Wieso ist sie gekommen?«
    Colin sah mich nicht an. Sein Blick verfinsterte sich und sein Gesicht verlor jegliche Mimik. Eine leblose und doch so ominös finstere Maske.
    »Das willst du nicht hören.«
    »Ach, Colin, bitte, nicht wieder diese Tour! Das willst du nicht hören, das willst du nicht sehen, das ist zu gefährlich, das zu riskant... Ich bin schon mittendrin in dieser Welt, ich muss es wissen!«
    »Nein. Das musst du nicht wissen.«
    »Doch! Sag es mir!«
    »Habe ich kein Recht auf Privatsphäre?«, herrschte er mich an. Seine Augen bohrten sich in meine und ich presste mich erschrocken an die Wand. »Quetsche ich aus dir alles heraus, was du nicht erzählen möchtest? Wer Grischa ist und warum er dir immer noch in deinen Träumen begegnet?«
    »Wag es nicht, Grischa mit Tessa zu vergleichen! Grischa ist... ist gar nicht real!«
    »Oh, dafür ist er aber sehr präsent in deinen Gedanken. Und ich werfe es dir nicht vor. Ich weiß, dass er dazugehört. Zu dir. Und dass du mir nicht alles darüber sagen willst, weil ...« Er brach verächtlich schnaubend ab.
    »Weil ich es gar nicht kann. Ich weiß nicht, warum das so ist, warum er dazugehört. Aber Grischa war vor dir und ...«
    »Das mit Tessa war auch vor dir, Ellie. Lange vor dir. Deine Großmutter war nicht einmal auf der Welt. Herrgott, es geht dich nichts an!«
    Er packte die Petroleumlampe, die ich vorhin mühevoll und unter einiger Kleckerei entzündet hatte, und warf sie gegen die Wand. Abrupt ließ ich mich fallen und streckte abwehrend die Arme aus. Das Geräusch der Scherben, die neben mir zu Boden rieselten, drehte meinen Magen um. Gleich würde er mich schlagen, es war genauso wie bei Paul ... Sein Zorn erinnerte mich an Paul ... Ich hatte ihn wütend gemacht, zu sehr ...
    »Bitte tu mir nichts, bitte nicht ... nicht ...«, bettelte ich, zog die Knie an und schmiegte schützend mein Gesicht in meine Armbeuge, unterwürfig wie ein rangniedriger Wolf im Kampf. Ich winselte auf, als Colin mich vom Bett

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