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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Meeresgrundes und seine weiße, schimmernde Haut, die mein Atem mit silbernen Perlen überzog.

Bauchentscheidung
    Das Geschrei der Möwen und das Trappeln von Hufen - es musste eine ganze Herde von Pferden sein, die an meinem Fenster vorbeizog - weckten mich gegen Mittag. Mein Hirn arbeitete wieder uneingeschränkt.
    Na, das ist ja raffiniert, dachte ich erstaunt. Sobald die Sonne aufgeht, verliert der Mensch, der den Mahr sieht, das Bewusstsein. Schachmatt. Deshalb war ich ohnmächtig geworden, als ich Colin zum ersten Mal im Sonnenschein begegnet war und ihm die Sonnenbrille von der Nase gezogen hatte.
    Ich war also die Einzige, die ihn Tag und Nacht kannte. Besonders viel Zeit hatten wir in den Morgenstunden dennoch nicht miteinander verlebt. Und doch wusste ich um das Eis in seinen Augen, im Gegensatz zu den anderen Frauen, mit denen er vor mir die Nacht verbracht hatte und die ihn für den typischen Macho halten mussten, der floh, um nicht reden zu müssen. Dabei floh Colin, um nicht gesehen werden zu müssen. Und weil sie Angst vor ihm hatten. Mein Mitgefühl galt bei diesem Gedanken ihm und nicht den Frauen. Was ihn wohl dazu motiviert hatte, sie zu verführen? Der Fortpflanzungstrieb konnte es kaum sein.
    Doch ich wollte mir nicht die Laune verderben lassen - die war innerhalb der vergangenen Stunden ohnehin unberechenbar geworden und machte ihrem Ruf damit alle Ehre. Colin würde aller Voraussicht nach erst in den Nachmittagsstunden zurückkommen, wenn die Schatten länger wurden und die Sonne milder. Ich hatte unverhofft Zeit für mich. Und meine Kleider waren endlich getrocknet. Sie sahen zwar etwas lädiert aus, doch tragen konnte ich sie.
    Ich ging in das winzige Badezimmer, duschte mich - wenn auch mit einigem Bedauern, weil ich das Gefühl hatte, Colins Berührungen abzuwaschen -, zog mich an und nahm dann all meinen Mut zusammen, um aus der Tür zu treten und Jansen zu suchen.
    Ich fand ihn in der Küche des urigen Gästehauses. Er versorgte mich ohne überflüssige Worte mit Kaffee, Brötchen, Butter und selbst gemachter Marmelade und ließ mich alleine, um nach den Pferden zu sehen. Seine norddeutsche Wortkargheit war mir willkommen, denn es hatte wenig Sinn, mich mit jemandem über Colin zu unterhalten, der nicht wusste, dass es Mahre gab. Und von Pferden hatte ich keine Ahnung. Über mich selbst wollte ich erst recht nicht sprechen.
    Als ich satt war, schlenderte ich ohne jegliche Eile durch Keitum, einen malerischen Ort wie von vor hundert Jahren, der so friedlich und verträumt im Sonnenlicht vor sich hin schlummerte, dass mich sogar Urlaubsgefühle heimsuchten.
    Doch dann erhob sich urplötzlich ein frostiger Wind und trieb mich zurück zum Stall. Ich ließ die Läden in unserem kleinen Ferienhäuschen geschlossen, denn ich war nicht erpicht darauf, dass mich jemand bei den Anrufen belauschte, die ich nun erledigen musste. Tillmann und Gianna. Vor beiden graute es mir ein wenig.
    Auf Tillmanns Handy meldete sich wieder nur die Mailbox und nun wagte ich es nicht mehr draufzusprechen. François war mit der modernen Technik bestens vertraut und er befand sich in nächster Nähe. Falls er irgendeinen Verdacht geschöpft hatte, war es zu riskant, Nachrichten zu hinterlassen. Ich musste es später noch einmal probieren.
    Bei Gianna ertönte wenigstens ein Freizeichen - aber dabei blieb es auch. Sie nahm nicht ab. Beim fünften Mal wurde ich bereits nach dem ersten Läuten weggedrückt.
    »Was soll das denn?«, knurrte ich und tippte eine SMS. »Warum nimmst du nicht ab? Ich bin es, Ellie. Geh bitte ran. Oder ruf mich zurück.«
    Die Antwort kam prompt. »Ich telefoniere nicht gerne. Können wir mailen? Geht es dir gut?«
    »Es ginge mir besser, wenn du drangehen würdest. Ich probiere es gleich noch einmal«, schrieb ich zurück und wählte ihre Nummer. Halleluja, sie nahm ab.
    »Na endlich. Wie kannst du überhaupt deinen Beruf ausüben, wenn du nie ans Telefon gehst?«
    »Ja, ich ... ich hab gerade geschrieben und ... tja«, druckste sie herum. »Ich hasse telefonieren! Ich hasse es, wenn das Telefon klingelt, und ich hasse es, jemanden anzurufen! Bedank dich bei meinem Ex.«
    »Dann besteht also keine Gefahr, dass du Paul anrufst?«, fragte ich.
    »Nein. Warum?«
    »Das erkläre ich dir, wenn ich wieder zurück bin. Kein Kontakt zu Paul, in Ordnung? Bitte, Gianna, das ist wichtig. Überlebenswichtig sozusagen. Für uns alle.«
    Gianna schniefte. »Darf ich ihn denn nie mehr Wiedersehen?« Sie

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