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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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voll. Beweis Nummer fünftausend für den beginnenden Wahnsinn von Elisabeth Sturm: Patientin möchte einen vollen Koffer packen. Preisfrage: Womit?«
    Hanni und Nanni pressten neugierig ihre dicken Mäuler an die Glasscheibe ihres Aquariums und glotzten mich mit hohlen Augen an.
    »Blubb«, machte ich und streckte ihnen die Zunge raus. Prima. Mein Koffer war schon gepackt. Ich musste nur noch eine Nacht hier schlafen und morgen würde ich heimfahren. Denn es gab immerhin noch eine Person in der Familie, die mich nicht für unzurechnungsfähig hielt. Mama.
    Doch als ich mich neben dem Koffer aufs Bett plumpsen ließ, fiel mir der Brief ins Auge, den ich ins Seitenfach gestopft hatte. Die Zusage der Putzstelle ... Ich faltete ihn auf. Der Termin war übermorgen.
    Nun, vielleicht sollte ich doch warten. Außerdem hatte Mama heute angerufen und gesagt, dass Post für mich angekommen sei und sie sie mir nachschicken würde. Irgendetwas vom Amt, meinte sie. Es könne wichtig sein. Hatte Herr Schütz seine Drohung etwa wahr gemacht und mir einen Studienplatz organisiert? Ich traute ihm alles zu. Er war immerhin der Vater von Tillmann.
    Und womöglich wirkte es erst recht schizoid, wenn ich morgen
    Hals über Kopf abreiste. Vor allem aber hatte ich den Safeschlüssel noch nicht gefunden. Und den wollte ich nicht Papa zuliebe finden, nein, den wollte ich finden, weil ich inständig hoffte, im Safe jene Beweise in die Finger zu kriegen, die Paul überzeugen konnten, dass es Colin und Tessa wirklich gab.
    Oder wenigstens mich selbst.

Pirouetten
    »Gut. Von mir aus bin ich die Verrückte«, lallte ich mit schwerer Zunge, sobald ich mich fähig fühlte zu sprechen. Mit meinem zögerlichen Erwachen kehrte auch mein Wissensdurst zurück und im Schlepptau hatte er einen schwach glühenden Zorn, der wie ein kleines, aber beständiges Feuer mein Blut in Wallung hielt.
    Echte, erholsame Ruhe hatte ich die gesamte Nacht über nicht gefunden, doch die körperliche Erschöpfung war so groß gewesen, dass ich immerhin fast zehn Stunden im Bett verbracht hatte. Eben genau passend für eine Bekloppte. Deshalb konnte ich auch ruhig mit jemandem sprechen, der gar nicht hier war. »Ich spiele die Verrückte, Paul. Bitte schön. Aber ich möchte wissen, was du tust und womit du dein Geld verdienst. Wenigstens möchte ich dich wieder kennenlernen.«
    Als ich endlich die Augen aufschlug, präsentierte Berta sich mir missgelaunt wie gestern schon. Sie saß oben in der Ecke des Terrariums, die Fangarme aufgestellt, jedoch insgesamt ruhig. Gewiss hatte sie Hunger, aber ich würde sowieso gleich ins Bad gehen und ihr dabei ihre Portion Silberfischchen zusammenkratzen. Und anschließend würde ich Paul fragen, warum er Rahmen für all die seltsamen Gemälde bastelte. Bestimmt saß er noch am Frühstückstisch, um bei antiquierten Schlagern und fetttriefenden Cholesterinbomben das Leben zu genießen.
    Doch ich irrte mich. Paul hatte bereits gefrühstückt und rannte
    halb nackt in seinem Schlafzimmer herum. Auf dem Bett lagen ein Anzug und eine Krawatte nebst einer kleinen, aber feinen Auswahl an Uhren, die vermuten ließ, dass Paul mit Entscheidungsschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Im Moment trug er Bruno-Banani-Shorts und ein grauenvolles, ausgeleiertes Rippenunterhemd. Ein Relikt aus alten Zeiten.
    »Hab verschlafen«, brummte er zerstreut und suchte nach zwei zusammenpassenden Socken.
    »Musst du denn weg? Wo musst du überhaupt hin? Paul, bitte sag mir doch, was du machst - lebst du wirklich davon, Bilderrahmen zu bauen?«
    »Passepartouts«, korrigierte Paul mich gelassen. »Nein, ich lebe nicht davon. Das ist nur ein Teil.«
    »Ein Teil von was?«
    »Oh Ellie.« Paul ließ sich mit zwei verschiedenfarbigen Socken in der Hand neben seinem Anzug auf die Bettkante sinken.
    Ich trat zu seiner Kommode, um ihm ein Paar passende Strümpfe herauszusuchen, und begriff schnell, dass das sprichwörtliche Suchen der Nadel im Heuhaufen eine Erfolg versprechendere Angelegenheit war.
    »Was sind das für Bilder? Mir kommen sie irgendwie bekannt vor.«
    »Das ist Aborigines-Kunst. Ich bin Teilhaber einer Galerie. Ich inszeniere die Ausstellungen und stelle die Passepartouts für die Gemälde her. Jetzt zufrieden?«
    »Du hängst Bilder auf?« Ratlos drehte ich mich zu Paul um. Ich hatte immerhin zwei Socken gefunden, deren Struktur und Grauton sich einigermaßen ähnelten. Ich warf sie ihm zu und er fing sie geschickt auf. Dann beugte er sich nach unten, um

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