Scherbenmond
Schlafzimmer?
»Rossini, nicht!«, bellte er Richtung Küche, aus der ein unterdrücktes Winseln ertönte. »Nicht, pfui, pfui!«
»Wer bist du überhaupt?«, fragte ich und stellte mich direkt vor ihn. Wer mich so ignorierte, durfte nicht erwarten, dass ich ihn siezte. Eine Wolke süßlich-herben Parfüms drang in meine Nase, als ich ihn musterte. Seine Haut wirkte solarienverbrannt und ledrig und am kleinen Finger prangte ein hässlicher Siegelring. Er war Galerist, blondierte sich die Haare und hielt einen Windhund. Ich hatte zu lange in Köln gelebt, um diese Hinweise zu ignorieren. Vor allem aber nannte er Paul Hase und schenkte ihm Überwürfe fürs Schlafzimmerbett. Herzlich willkommen in Tuntenhausen.
»François Later«, übernahm Paul die Antwort und drückte sich zwischen uns hindurch in den Flur. »Mein Partner. François, das ist meine Schwester Elisabeth. Ich hab dir von ihr erzählt.«
»Hoffentlich nur Gutes«, kommentierte ich kühl, doch an François’ Blick konnte ich sehen, dass auch das nichts gerettet hätte. Ich verzichtete darauf, ihm die Hand zu geben. Ich wollte ihn nicht berühren. Meine Nerven waren zur Genüge angespannt und ich ging davon aus, dass es mit einem Handschlag nicht besser wurde. Doch nun streckte er mir mit einem affektierten Seufzen seine Rechte hin. Ich gab mir einen Ruck und nahm sie. Sie war warm und schwitzig. Er quetschte meine Finger kurz, aber fest, sodass ich ein Aufkeuchen unterdrücken musste. Angewidert löste ich mich von ihm.
Augenblicklich brach wieder Hektik aus. Paul und François stürmten in einer abenteuerlichen Choreografie, bei der sie sich zweimal beinahe gegenseitig über den Haufen rannten, ins Schlafzimmer, den Werkraum, die Küche, das Bad und schließlich an mir vorbei aus der Wohnung. »Komme heute Nacht zurück!«, rief Paul mir zu. Dann fiel die Tür ins Schloss.
Was, bitte, war denn das gewesen? Verdattert lehnte ich mich gegen die Wand und schaute mit leeren Augen in den Flur, um zu begreifen, was diese Szenen mit Paul zu tun hatten. Dem Paul von früher. Deshalb dauerte es auch eine Weile, bis ich den weißen Schatten wahrnahm, der mit eingeknicktem Schwanz und schief gelegtem Kopf vor der Werkkammer kauerte und ein verängstigtes Fiepen ausstieß.
François hatte tatsächlich seinen eigenen Hund vergessen.
»Hallo, Rossini«, sagte ich. »Ich bin Ellie. Und ich bin kein Hundefreund.« Vielleicht weil Hunde keine Mahre mögen, dachte ich mit einem schmerzhaften Ziehen im Bauch.
Nachdem der Hund zu hyperventilieren aufgehört und sowohl auf den glatten Küchenfliesen als auch auf dem Parkett seine spagatfreie Balance gefunden hatte, stellte sich heraus, dass er einen ganz passablen Charakter besaß. Er war der typische Angstbeißer -wenn ich mich zu schnell bewegte, wich er knurrend zurück. Sobald ich mich aber still auf den Boden setzte und abwartete, ohne ihn anzusehen, näherte er sich und drückte hechelnd seinen weichen Kopf an meine Wange. Ob man ihn wohl darauf abrichten konnte,
Ratten zu jagen? Oder, noch besser, François in die Waden zu beißen? Safeschlüssel zu finden?
Es dauerte nicht lange, bis mein Handy klingelte. Es war Paul. Neben ihm hörte ich François schnattern und die Verbindung war miserabel, doch der Klartext lautete: »Wir haben den Hund vergessen, können aber nicht mehr umkehren, bitte pass auf ihn auf.«
Rossini presste sich winselnd an die Wohnungstür - ich befürchtete, dass er dringend Gassi musste. Also improvisierte ich aus einem Strick und einem Karabinerhaken, den ich aus Pauls Werkraum entwendete, eine Leine und trug den zitternden Hund die Treppen hinunter, da er sich weigerte, den Lastenaufzug zu betreten.
Eine halbe Stunde lang rannte ich japsend hinter ihm her, dann fand er nach und nach zu einem gemächlicheren Tempo und ich konnte mir zumindest streckenweise einbilden, ich würde ihn führen und nicht umgekehrt. Ich begann den Spaziergang zu genießen. Bei Tageslicht empfand ich die Speicherstadt als ein zwar immer noch wundersames, aber angenehm freundliches Pflaster. Schulklassen warteten vor dem Dungeon und dem Miniatur-Wunderland auf Einlass, Touristen knipsten sich die Finger wund, die Barkassen schipperten Schaulustige durch die Kanäle. Sogar der ständige Baulärm wirkte auf mich erfrischend lebendig. Auf den Balkonen der Büros und Lager standen schwer beschäftigte Unternehmer, rauchten und telefonierten. Jetzt konnte ich verstehen, warum Paul hier wohnen wollte. Solch ein
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