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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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vorlegt. Also komm in einer Woche dorthin. Bring den Bescheid mit und deinen Ausweis. Montag. Zwei Uhr. Schreib dir das auf. Das ist der…« Sie sah auf den Wandkalender und erstarrte. Shit! Das konnte nicht sein. War morgen echt schon der Zwanzigste? Da schrieben sie die Mathearbeit und sie hatte noch so gut wie nichts gelernt. »Egal, der Wievielte das ist. Sei einfach da!« Sie stopfte das Handy in die Hosentasche. Mist. Mathe war ihr Kampffach. Sie holte die Schulsachen und setzte sich an den Tisch im Wohnzimmer, um zu lernen.
    Nach zwei Stunden gab sie auf. Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er aus Brei. Man sieht deine Muschi nicht. Sandra, die Sau. Bitch.
    Kurz vor Mitternacht ging sie ins Bett. Lange lag sie noch in der Dunkelheit wach. Du bist zu spät dran. Hast du einen Ausweis? Ich will Spaghetti. Wann kommt Mama wieder? Sandra? Alles okay? Wie Joswig sie angesehen hatte, als er ihr die Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Seines so nah an ihrem. Dieses Grübchen am Kinn. Wenn du jemanden brauchst, dem du dich anvertrauen kannst…
    Plötzlich brachen sich alle nicht geweinten Tränen Bahn. Sie konnte es nicht verhindern, sie flossen einfach so aus ihr heraus. Schluchzend verbarg sie ihren Kopf im Kissen, bis eine Hand tastend über ihren Kopf strich. Vanessa. Sie kroch zu Sandra unter die Bettdecke. »Warum weinst du?«
    »Warum wohl? Weil ich traurig bin.«
    »Wegen Mama?«
    »Ja. Auch.«

16
    Hoffentlich verhaute sie die Mathearbeit nicht. Mit den Potenz- und Exponentialfunktionen kam sie recht gut klar, doch ihr Schlachtfeld war die Trigonometrie und die kam heute mit Sicherheit dran.
    In Sandras Magen saß ein dumpfer Druck, der diesmal nicht vom Hunger kam. Es war Angst. Angst, die Arbeit in den Sand zu setzen. Angst vor Maja und Pat, Angst vor einer neuen Mobbingattacke.
    Als sie das Klassenzimmer betrat, waren schon alle da. Sie wich den Blicken aus, schaltete ihre Ohren auf Durchzug und machte sich auf alles gefasst. Doch an ihrem Tisch pappte nur ein gelbes Post-it. Ich wünsch dir einen schönen Tag, Bitch! Das war ja echt harmlos. Gingen den beiden Tussen langsam die Ideen aus? Erleichtert setzte Sandra sich, knüllte den Zettel zusammen und warf ihn über drei Bankreihen in den Papierkorb. Alina kam, rutschte an ihre Seite und Janina winkte ihr zu. Der Tag begann gar nicht so mies.
    Nach der Pause war es so weit. Lindner trat ins Klassenzimmer. Er schien seine Schüler zu hassen, denn er redete so gut wie nicht mit ihnen. Nun klappte er die Tafel auf und diesmal erwischte es Sandra eiskalt.
    Sandra, Pissnelke!, stand da. Mit groben Kreidestrichen hatte jemand eine pinkelnde Figur danebengemalt. Alle lachten und grölten. Sandras Magen klumpte sich zusammen, ihre Hände begannen zu zittern und die Augen zu brennen. Nein, sie würde nicht losheulen und das Zittern würde auch gleich wieder aufhören. Ihre Kiefermuskeln verspannten sich bei dem Versuch, ihrem Gesicht einen gelassenen Ausdruck zu verleihen, während sie am liebsten geschrien hätte: Ihr Arschlöcher! Ihr blöden Zicken! Ich habe euch nichts getan! Warum macht ihr das? Hört auf damit! Lasst mich in Ruhe!
    Doch das war genau das, was Maja und Pat erreichen wollten, dass sie ausrastete, und den Gefallen würde sie ihnen nicht tun. Niemals.
    Lindner griff wortlos zum Lappen, wischte die Tafel sauber und schrieb: 1. Klassenarbeit Mathematik, 10 E. Abgabe: 11.30 Uhr. Dann teilte er die Aufgabenblätter aus.
    Fünf Aufgaben, davon zwei in Trigonometrie. Das war ja klar gewesen. Sandra begann mit den Funktionen. Doch Zahlen und Formeln wirbelten wild durcheinander. Nichts bekam sie richtig zu fassen. Ihre Überlegungen liefen ins Leere, bis sie sich völlig mutlos fühlte, fahrig und nervös war und bei jedem Geräusch zusammenzuckte.
    Als sie am Ende der Stunde die Blätter abgab, war sie sicher, nicht mehr als eine Vier oder Fünf geschafft zu haben.
    Lindner schlurfte hinaus. Sandra nahm ihren ganzen Mut zusammen, stand auf und ging zu Maja und Pat. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl sie total zittrig war.
    Gelangweilt sahen beide auf, als Sandra vor ihnen stehen blieb. »Ist was?«, fragte Maja.
    »Könnt ihr mich bitte einfach mal in Ruhe lassen? Keine Post-its, keine gefakten Bilder im Netz, keine Kotztüten. Ihr könnt euch das alles sparen. Ihr werdet es nicht schaffen.«
    »Was denn?« Pat riss die Augen übertrieben weit auf und legte den Kopf schief.
    »Dass ich ausraste, dass ich schlechte Noten schreibe, dass ich

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