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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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weiß, dass er dir nur damit richtig wehtun kann. Und dass du auch nur dann zurückschlägst. Wenn er sich Anton vorknöpft, weiß er, dass es dir ernst ist, wenn du dann mit brüchiger Stimme mit Scheidung drohst. Also macht er das meistens heimlich. Anton ist genauso wenig in der Lage, sich zu verteidigen, wie dieses Zitronenbäumchen auf der Fensterbank. Und er macht einen ebenso schwächlichen Eindruck.
    Ich weiß nicht genau, welche Hölle Anton tagtäglich erlebt, denn Vadim hält sich vor mir zurück, und Anton klagt nicht. Das häufigste Wort, das ich in Vadims Gegenwart ausspreche, heißt »Polizei«. Und auch wenn er dann immer lacht, sehe ich doch die Angst und den Zweifel in seinen Augen.
    Aber er weiß auch, dass ich dir nicht wehtun will. Es ist eine alte weibliche Masche: Ich will dir nicht wehtun, also lasse ich es zu, dass du umgebracht wirst. Ich gehe dann doch nie zur Polizei, weil sich Vadim in meiner Gegenwart zusammenreißt und vor allem weil ich weiß, du würdest es nur im absoluten Ernstfall billigen.
    Du hoffst, dass alles noch gut wird, irgendwie. Einmal sagst du mir, dass du davon träumst, er würde von selbst gehen, sich vielleicht neu verlieben, ansonsten hättest du das Gefühl, dass du auf einem Hilflosen rumtrampelst. Wer am Boden liegt, den darf man nicht auch noch treten; eine deiner vielen edlen, hohlen, von dir gelebten Weisheiten. Als du mir das sagst, muss ich lachen, sehr lange und böse, bis mir die Tränen kommen, und dein Gesicht dabei, das vergesse ich nie.
    Und du wirst nie erfahren, warum ich jahrelang immer nur vollständig angezogen mein Zimmer verlassen habe, niemals im Schlafanzug oder Bademantel, warum ich nachts immer meine Tür abschließe, warum ich erst seit diesem Sommer kurze Ärmel trage und Sachen, die auch etwas weiter ausgeschnitten sind. Du hast mich immer »zugeknöpft« genannt, auch mal »körperfeindlich«, du hast es als meine Eigenart akzeptiert, ich habe niemals angedeutet, dass etwas anderes dahinterstecken könnte. Ich dachte, dass es dir wehtun würde, dass du das nicht verkraften würdest, dass du an Entsetzen und Schuldgefühlen zerbrechen könntest.
    Das bedeutet, dass ich dich darin unterstützt habe, ihm gegenüber blind zu sein.
    Und zu den glücklichsten Momenten meines Lebensmit Vadim gehören die Siege, die ich errungen habe auf dem Schlachtfeld, von dem ich dachte, dass es nur mich was angeht. Sein Gesicht, als ich ihn getreten habe und er, ich sah den inneren Kampf in seinen hasserfüllten Augen, sich dagegen entschied, weiterzumachen oder zurückzuschlagen. Weil das Spuren hinterlassen würde, über die ich vielleicht nicht mehr schweigen würde. Seine Angst, als ich am Küchentisch das Brotmesser langsam in den Fingern drehte und ihn anstarrte, und wie er sein Knie unter dem Tisch langsam von meinem wegrückte.
    Aber vielleicht lüge ich mich selber an, und der Sieg gehörte nur ihm. Der Triumph, dass ich niemals meine Wäsche oder persönliche Sachen im Badezimmer ließ, sondern nur in meinem abgeschlossenen Zimmer. Dass ich ihm noch mehr aus dem Weg ging als sonst, was letztendlich bedeutete, dass ich zu Hause die meiste Zeit in meinem Zimmer verbrachte. Und dass ich niemals meiner Mutter auch nur ein Wort darüber sagte.
    Und ich fühle mich deswegen so furchtbar schuldig, denn vielleicht war mein Schweigen genau die Weiche, die in die falsche Richtung umgelegt wurde, in Richtung Tod.
    Wer schießt, wird erschossen, denke ich. Wie einfach und wie gerecht.
    Mir wird ganz warm ums Herz.
    Ich muss noch viel lesen, denke ich. Lesen und lernen und überlegen. Er darf keine Chance haben. Nicht zur Gegenwehr und nicht zum Überleben.
    Es sind schöne Gedanken, aber sie strengen michsehr an. Ich könnte mich mehr mit dem anderen Plan beschäftigen.
    Ich setze mich am selben Abend an den Computer. Ich sitze lange davor, eine Stunde mindestens. Es ist schwerer, als ich gedacht habe. Wahrscheinlich wird es leichter sein, Vadim zu erwürgen.
    Alle Szenen, die ich aufschreiben wollte, sind wie weggeblasen. Alle Wortfetzen, die ich aufzufangen versuche, sind banal. Warme Hände und Wiegenlieder und unanständige Witze und literweise Kaffee – das alles trifft es nicht. Ich habe nur ihr Gesicht vor Augen, und ich beginne zu tippen, um nicht zu erstarren wie Anton.
    »Rote Haare«, schreibe ich. »Mit Henna gefärbt, seit ich sie kenne. Welche Farbe hatten ihre Haare eigentlich früher? Wahrscheinlich irgendein Braun. Einmal hatte sie mir

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