scherbenpark
habe nicht verstanden, was er mir geantwortet hat!«
»Das ist egal. Die wissen jetzt, dass wir kommen. Die kennen uns gut.«
Ich lege Felix meine Hand unter den Kopf, damit er bequemer liegt.
Wir verlassen die Autobahn. Ich sehe nicht, wo wir sind, ich sehe nur auf Felix, dessen Gesichtszüge im fahlen Licht der Laternen eine Farbe annehmen, die ich bei einem Menschen noch nie gesehen habe. Ich bin mir sicher, dass er jetzt tot ist. Dann lege ich einen Finger auf seine Lippen und kann es kaum glauben, dass sie von einem warmen Atemzug gestreift werden.
Ich kriege mit, wie eine Schranke vor uns aufgeht. Dann geht alles noch schneller. Felix wird rausgezerrt und verschwindet auf einer Trage. Volker eilt hinterher, einen festen Griff um meinen Oberarm. Ich lasse mich mitschleppen. Meine Knie knicken fast ein.
Dann sitzen wir in einem Flur auf Plastikstühlen. Lächerlich lange, nach der Hetze scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Das grelle Neonlicht färbt Volkers Haut gelb. Er sitzt breitbeinig da, den Kopf zurückgeworfen, die Augen geschlossen, die obersten zwei Knöpfe an seinem Hemd geöffnet. Es sieht ziemlich verlottert aus, es passt nicht zu ihm, und ich kämpfe gegen den Wunsch an, es ihm zu sagen oder es gar selbst in Ordnung zu bringen.
»Volker«, frage ich nach einer Ewigkeit. »Was für eine Farbe hat mein Gesicht gerade?«
Er reibt sich die Augen, bevor er mich ansieht.
»Grün«, sagt er und lehnt sich wieder zurück.
»Volker«, sage ich. »Wo sind wir eigentlich?«
»In der Uniklinik«, sagt er mit geschlossenen Augen.
»Volker«, sage ich. »Warum sind wir hier?«
Er nimmt seine Hand hoch, erwischt im Blindflug meine Schulter und klopft kurz darauf.
Ich kriege Gänsehaut an den Schulterblättern.
»Volker«, sage ich. »Was hat Felix denn?«
»Frag besser, was Felix alles nicht hat«, sagt Volker.
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.
»Felix ist mit Lungen zur Welt gekommen, die manchmal nicht richtig funktionieren«, sagt Volker. »Er hat von den ersten zehn Jahren seines Lebens fast jeden zweiten Monat im Krankenhaus verbracht. Dann hat er ein Transplantat bekommen.«
»O mein Gott«, sage ich.
»Wenn ihr zusammen geschlafen habt, musst du es gehört haben. Wenn es leise ist, klingt sein Atem wie ein dünnes Pfeifen.«
Ich erinnere mich an das Geräusch, über das ich mich nachts vor dem Einschlafen gewundert habe.
»Ich habe bei dem Ton nach einem kaputten Handy gesucht«, sage ich und habe das Gefühl, riesige rote Ohren zu haben. Ich betaste sie sogar. Sie sind heiß, aber von normaler Größe.
»Ich dachte erst, ich werde mich nie daran gewöhnen können«, sagt Volker. »Aber man gewöhnt sich an alles.«
»Was meinst du?«
»Dieses Atemgeräusch. Wenn wir mal zusammen verreist waren und in einem Hotelzimmer geschlafen haben, hat mich das ganz verrückt gemacht. Seitdemschlafe ich mit Ohropax. Deswegen hat es gedauert, bis ich dein Gebrüll heute Nacht gehört habe.«
»Ich fand's nicht so schlimm«, sage ich. »Das Pfeifen, meine ich.«
Alles um uns herum ist ganz ruhig. Nur irgendwo in der Ferne, hinter den vielen Türen, hallen Schritte.
»Der weiße Strich«, sage ich. »Er hat so einen weißen Strich auf der Brust.«
»Das ist die OP-Narbe«, sagt Volker. »Ist ihm furchtbar peinlich. Deswegen geht er nicht mehr ins Schwimmbad. Er denkt, dass jeder ihn anstarrt.«
»So ein Quatsch«, sage ich. »Man sieht doch kaum was.«
»Das sage ich ihm auch immer. Aber er glaubt es nicht.«
»Was für eine Scheiße«, sage ich. Plötzlich schäme ich mich.
»Es tut mir leid«, sage ich, und Volker öffnet verständnislos ein Auge.
»Was tut dir leid?«
»Dass wir hier sind. Ich dachte, bei euch ist alles in Ordnung. Ich dachte, ihr seid glückliche Menschen ohne Probleme.«
Volker lacht kurz und freudlos auf.
»So eine lange Narbe«, sage ich.
»Er ist da aufgeschnitten worden«, sagt Volker. »Das Brustbein wurde zersägt. Damit man an seine Bronchien rankommt. Danach lange Intensivstation. Ein kleiner Junge an tausend Schläuchen. Entschuldige, das klingt so pathetisch, aber das kann man eigentlich gar nicht aushalten. Wenn es dein Kind ist.«
»Natürlich«, sage ich. »Wie soll man das auch aushalten?« Ich denke an Anton, und mir wird ganz kalt.
»Ich hatte vor zwei Jahren was an der Gallenblase«, sagt Volker. »Gallensteine, ganz banal. Bin auch operiert worden im Krankenhaus. Minimalinvasiv. Das ist wirklich ein Klacks in Vergleich zu
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