scherbenpark
einer Lungen-OP. Aber nach der Narkose lag ich da, und, mein Gott, es hat so verdammt wehgetan. Ich habe förmlich um Schmerzmittel gebettelt. Und ich habe die ganze Zeit an Felix gedacht. Er hat damals überhaupt nicht geweint. Aber kannst du dir vorstellen, wie weh das tut, wenn dir der Brustkorb aufgesägt wird? Wenn man an deinen Lungen herumschneidet? Welche Schmerzen jeder Atemzug danach verursacht? Er hat versucht, ganz flach zu atmen, damit er nicht schreien muss.«
Er sieht nicht mich an, sondern gerade vor sich.
»Er hat sich nie beklagt«, sagt Volker. »Er ist nicht ganz einfach, als Mensch, aber er hat nie deswegen herumgejammert. Vor der OP konnte er vieles nicht machen. Kein Sport, keine wilden Spiele. Ein schwer krankes Kind eben. Danach wurde es besser. Mit dem Transplantat konnte er praktisch normal leben, jedenfalls im Vergleich zu vorher. Er muss halt viele Medikamente schlucken, gegen die Abstoßung, das Blut darf nicht zu dickflüssig werden, dauernd muss alles Mögliche kontrolliert werden, er scherzt, dass er hier an der Uniklinik seinen Zweitwohnsitz hat.«
»Aber warum sind wir jetzt hier?« frage ich. »Wird das Transplantat abgestoßen?«
»Um Gottes willen«, sagt Volker. »Was redest du da? Nein. Aber seit ein paar Jahren sind auch noch schwere Anfälle von Atemnot dazugekommen, die wohl allergisch bedingt sind oder auch nicht. Immer wieder, ganz plötzlich. Die Bronchien ziehen sich zusammen. Die Nerven, die das steuern, benehmen sich bei ihm manchmal ganz merkwürdig.«
»Die Nerven?« frage ich bange.
»Nicht die Nerven, die du meinst«, sagt Volker und lächelt müde. Er spreizt die Finger einer Hand und zeigt sie mir. »Schau, das sind die Bronchien. Und hier sollten die Lungenlappen sein. Hier ist das Transplantat. Bei körperlicher Anstrengung geht der Atem schneller, das ist normal. Aber bei Felix zieht sich alles einfach so zusammen. Er kriegt keine Luft. Der Körper wird nicht mehr richtig versorgt. Atemnot. Wie eben.«
»Warum passiert das?« frage ich. Auf einmal fühle ich mich schuldig.
»Das weiß keiner«, sagt Volker. »Es kommt ganz unregelmäßig. Aber fast nur in der Nacht. Ich kann überhaupt nicht sagen, was es verursachen könnte. Ich kann keine Gesetzmäßigkeit darin erkennen.«
»Und die Ärzte?« frage ich. »Können die das sagen?«
»Nein, sie können das noch weniger. Unser Felix ist ein großes Rätsel.« Er lächelt. »Auch und vor allem für die Medizin. Es gibt wahrscheinlich kein Allergen, auf das er nicht getestet wurde. Es ist vermutlich ein seltener Gendefekt. Übrigens geht die Atemnot oft auch von allein weg. Es gibt ein paar Tricks, die es manchmalberuhigen können, das kalte Wasser zum Beispiel. Aber es hilft eben nicht immer.«
»Und wenn man es nicht wegkriegt«, sage ich und drücke mir die Hand vor den Mund.
»Ja«, sagt Volker schwer fällig. »Dann ist es schlecht. Ganz schlecht.«
»Was tun die da so lange mit ihm?« frage ich, nachdem ich die Hand zwischen meinen Zähnen wieder rausgenommen habe.
»Das weiß ich gerade nicht. Sie haben Medikamente, mit denen sie es versuchen. Schrittweise. Wenn Schritt eins nicht hilft, kommt das nächste Medikament dran. Zweimal mussten sie ihn künstlich beatmen, weil er bereits so viele Relaxantien intus hatte, die seine Atemwege entspannen sollten. Weißt du, was Relaxantien sind?«
»Ja«, sage ich. »Das sind Medikamente, die die Muskeln schlaff machen, sodass man gar nicht mehr selbst atmen kann.«
»Ja«, sagt Volker. »Das konnte Felix dann auch nicht.«
Mir wird übel. »Warum brauchen sie so lange?« frage ich.
Volker antwortet nicht.
»Volker«, sage ich. »Ich glaube, ich bin schuld.«
Er sieht mich erstaunt an.
»Ja«, sage ich. »Wahrscheinlich hätten wir es nicht tun sollen.«
»Was?« fragt Volker.
Mein Gesicht wird heiß. Es fühlt sich an, als würden ein Dutzend Wespen darauf einstechen.
»Ach das«, sagt Volker und mustert ungnädig meine aufflammenden Wangen. »Willst du andeuten, dass du meinen Sohn heute Nacht entjungfert hast?«
»Nein«, sage ich.
»Nein?« wundert sich Volker. »Das sah aber ganz danach aus.«
»Nicht heute Nacht«, sage ich. »Heute Vormittag.«
Plötzlich lacht Volker, was sich im leeren Krankenhausflur entsetzlich anhört.
»Das hat man davon«, sagt er. »Dass man die Kinder unbeaufsichtigt lässt.«
»Wir sind keine Kinder«, sage ich.
»Mach dir keine Sorgen«, sagt Volker. »Ich glaube nicht, dass es deswegen ist. Er hatte
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