Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
bin ich auch dran«, sagte Andrea. »Die Ionella hatte eine Freundin, auch eine Rumänin, die in Ugau beschäftigt war. Die ist aber … ähm … zur Begleitung ihrer Herrschaft angeblich in die Augenklinik nach München. Das hat die Nachbarin gesagt. Aber genau wusste sie das auch nicht. Wir erreichen da keinen. Vielleicht ist das ja … ähm … die zweite Tote. Oder aber die lebt noch und weiß mehr über Ionellas Leben …«
Ihre Herrschaft, so hatte das die junge Kollegin formuliert. Und so altmodisch der Begriff auch klingen mochte, so hatte Andrea doch den Kern getroffen. Diese Mädchen wurden nicht wie in einem geregelten Arbeitsverhältnis behandelt, dachte Irmi, sondern so, als handele es sich um eine Art Leibeigenschaft.
»Irgendwie hatten wir gar nicht das Gefühl, dass da was nicht stimmen könnte in der Familie Schmid«, fuhr Andrea leise fort. »Ich meine … also … zwei Tote sind natürlich nicht normal, aber dass da eine Pflegerin aus Rumänien war und dass die jungen Leut nicht …«
Irmi wusste, was Andrea meinte. Es war normal, dass eine Großelterngeneration wegstarb, dass eine Generation von Landwirten starb, die ein karges Auskommen gehabt, die ihre Tiere noch mit Namen gekannt hatten. Es war normal, dass mit dieser Generation auch die kleinen Höfe starben, die dann von Großstädtern gekauft wurden, welche sich den Traum vom Landleben erfüllen wollten. Es war normal, dass diese unrentablen alten Gehöfte für die Nachkommen nur noch eine Belastung waren – genau wie die Eltern, weil sie immer noch dazwischenschnabelten. Dabei stiegen der Unmut und die emotionale Überforderung immer weiter, denn die Kinder wurden trotz allem vom schlechten Gewissen geplagt, weil sie die Eltern nicht selbst pflegten, sondern sie in die Hände von Fremden gaben. Alles ganz normal eben.
Kathi kam wieder ins Zimmer. Sie kochte. »Diese depperten Feuerwehrler! Da war wirklich eine Katz, die verbrannt ist! Und das sagt mir der Volldepp von Oberfeuerwehrkommandant nicht. Hat er vergessen, der Hirsch!«
»Na ja, ich kann mir vorstellen, dass zwei verkohlte Leichen auch g’standene Feuerwehrleute aus der Bahn werfen«, meinte Irmi. »Der Herbert ist kein Depp. Ich denke, der wollte sich vor seine Leute stellen. Er hat die Sache mit der Katz ja nicht selbst verbaselt. Lass mal gut sein, Kathi. Aber wo ist das Tier jetzt hingekommen?«
»Der Herr Kommandant sagt, sie hätten den Kadaver am Gartenzaun vom Bauerngarten abgelegt. Und in der Hektik leider vergessen!«
Sailer stand der Mund offen, und Andrea war anzusehen, dass sie sich gerade einen verkohlten Katzenkörper auf weißem Schnee vorstellte. Ein Bild, das auch Irmi schwer verdrängen konnte.
»Na gut, Leute. Ich fahr mit Kathi sowieso gleich hin. Dann schauen wir mal …«
»… wo die Katz rumgammelt«, ergänzte Kathi so unsensibel wie eh und je.
Ja, es war alles wie immer, dachte Irmi. Nur in ihr hatte sich etwas verändert. Die Erkenntnis, dass man Menschen nicht ändern konnte, war ihr nicht neu. Sie wusste schon lange, dass es nur selten etwas nutzte, sich gegen den Lauf der Dinge zu wehren. Es war vergeudete Energie, um sich zu schlagen. Man konnte nur seine Einstellung zu den Dingen und den Menschen verändern. Doch diese Erkenntnis vermochte sie nur allzu selten umzusetzen. Momentan allerdings war Irmi in der Lage, die Dinge und die Menschen so zu nehmen, wie sie eben waren. Auch Kathi, das hübsche Trampeltier, diese Gewitterfront in Gestalt einer Elfe.
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Ein Kollege von ihnen trat ein und brachte eine Dame mit, die hektische Blicke zwischen den Anwesenden hin und her sandte. Die Frau wolle eine Vermisstenanzeige aufgeben, erklärte der Kollege, bevor er den Raum verließ. Irmi bat die Unbekannte, sie doch in ihr Büro zu begleiten. Fast unmerklich nickte sie Kathi zu, die den beiden daraufhin folgte.
Die Dame stellte sich als Dr. Uschi Strissel vor. Sie war jener scheinbar alterslose Frauentyp zwischen fünfunddreißig und fünfundfünfzig und pflegte einen lässig-eleganten Kleidungsstil mit teuer aussehenden Jeans und Wollblazer. Irmi nahm an, dass die Tasche von Louis Vuitton stammte und ganz sicher keine Fälschung war. Auch das Hermès-Tuch war bestimmt echt. Ein so dezentes, aber perfektes Make-up erforderte viel Erfahrung in der Gesichtsmalerei, dachte Irmi. Sich so zu schminken, dass man ungeschminkt aussah, war eine Kunstform.
Frau Dr. Strissel war Volkskundlerin an der Uni München.
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