Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
einzige Chance. Irmi wusste das, sie kannte das aus einigen Familien, wo sich Rumäninnen und Polinnen die Klinken in die Hand gaben.
Ihre eigenen Eltern waren zu Hause gestorben, sie und Bernhard hatten letztlich Glück gehabt. Vater und Mutter waren ohne lange Leidenszeit gegangen. Ihre Mutter fehlte ihr plötzlich so sehr. Die Trauer war wie ein böser Stich, der sie in unregelmäßigen Abständen quälte. Es tat noch immer sehr weh, und das würde wohl ewig so bleiben.
»Wurde denn sonst noch etwas Verwertbares gefunden?«, fragte Irmi und versuchte sich wieder auf den Fall zu konzentrieren.
»Beide Leichen sind Frauen. Das weiß die Gerichtsmedizin ganz sicher«, sagte Kathi zögerlich.
»Ach!«
»Ehrlich gesagt, hatte ich angenommen, es würde um ein Verhältnis oder so gehen. Ein Lover und seine Geliebte vielleicht.«
»Ein Schäferstündchen im Silo? Das ist aber kein guter Platz.«
»Und ein Schäferstündchen zwischen zwei Frauen im Silo macht es noch komplizierter«, sagte Kathi. »Und das in Ugau.«
Irmi starrte hinaus ins Dunkel. »Sonst noch was?«
»Eine der Frauen hatte ein Handy dabei, das ist aber völlig zusammengeschmolzen. Man konnte keine Anrufe oder irgendwelche anderen Daten retten. Es war ein Smartphone von Samsung, immerhin das weiß die KTU . Das war’s aber auch schon. Bis jetzt sind keine Vermisstenmeldungen eingegangen. Aber jetzt komm du doch erst mal richtig an, oder!«
Als Kathi Irmi in Schwaigen absetzte, war es nach eins. Der Schnee fiel unermüdlich weiter. Irmi bedankte sich und schloss die Haustür auf. Sie stutzte kurz, als sie den Gang betrat. Erst kürzlich hatte er einen neuen Linoleumboden bekommen, der wie Holzdielen aussah, und sie hatte sich noch nicht an den Anblick gewöhnt. Der alte karierte, bei dem an manchen Stellen schon das Jutegewebe herausgekommen war, hatte seinen Dienst ja wirklich getan, aber irgendwie hatte Irmi ihn in Gedanken noch abgespeichert.
Sie machte Licht und ging in die Küche. Auf dem Tisch stand ein Schokonikolaus, und daneben lag ein Zettel: »Wellcom, Schwester!« Irmi lächelte, während sie auf einen Stuhl glitt. Das Englische war nicht gerade eine Stärke ihres Bruders. Aber sie war gerührt.
Von einem Kissen erhob sich etwas Schwarzes. Katzenbuckel! Der kleine Kater, der schon längst nicht mehr klein war, sondern ein Mordsbrackl geworden war. Er sprang auf den Tisch, gab Irmi einen gewaltigen Nasenstüber, gähnte und begann zu schnurren. Irmi kraulte ihn unterm Kinn. »He, Süßer. Du stinkst ganz schön aus dem Hals!«
Sie war daheim. Vom Gang kam ein merkwürdig kratzendes Geräusch. Der alte Kater hatte Irmis Koffer, den sie dort abgestellt hatte, umgeworfen und herzhaft draufgepinkelt. Nun kratzte er ein wenig halbscharig auf diesem neuen Katzenklo herum und bedachte Irmi mit einem vernichtenden Blick. Dann zeigte er ihr das Hinterteil und wackelte in seinem Djangogang davon. Der alte Kater war schwer beleidigt und nicht gerade auf Willkommenskomitee eingestellt. Irmi wischte das Malheur weg. Prima, die erste Amtshandlung daheim war das Eliminieren von Katzenpisse. Einfach großartig!
3
Als Irmi erwachte, war da Licht. So viel Licht. Sie sah auf die Uhr, es war gerade mal sieben, draußen lag Schnee, und über dem Schnee war es noch viel heller. Fast vermisste sie das polare Heraufblauen des Morgens, das sich den ganzen Vormittag Zeit nahm. Hier war es viel früher hell, und das Licht forderte einen heraus. Sie zog sich an und schlenderte in die Küche, wo wenig später auch Bernhard auftauchte.
»Danke für den Willkommensgruß«, sagte Irmi und umarmte ihn kurz. Ihr Bruder war steif wie ein Brett. So viel Nähe war nicht sein Ding.
»Passt scho«, sagte er und goss sich Kaffee ein. »Die Kathi hatte angerufen und wollte deine Nummer wissen. Ich war mir nicht sicher, ob ich …«
»Passt scho«, sagte nun Irmi. Weil sie wusste, dass Bernhard nie von sich aus »Wie war’s?« oder etwas ähnlich Intimes gefragt hätte, begann sie von sich aus zu erzählen. Nur knapp schilderte sie das Licht und das Fehlen von Licht, ehe sie den aktuellen Fall thematisierte. »Das mit dem Brand ist eine scheußliche Sache. Wart ihr auch da?«
»Nein, aber die Ogauer, Saulgrub, Ettal und Altenau.«
»Gehört hast du aber davon?«
»Sicher, es verbrennen ja ned täglich zwoa Leit.«
Sie tranken schweigend ihren Kaffee, bis Bernhard eine fahrige Bewegung machte und sich der Inhalt seiner Tasse über Irmi ergoss. Beide sprangen auf,
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