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Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Titel: Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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schadet doch nicht, wenn du noch in eine andere Richtung denkst.«
    Aber genau darum ging es. Sie würde alte Wunden aufreißen, den Schorf aufkratzen und nacktes Fleisch zutage fördern. Wollte sie das wirklich?
    »Du machst dir Sorgen wegen des alten Herrn?«, hakte Jens nach.
    »Natürlich. Er ist uralt und gebrechlich. Weißt du, was ich da vielleicht freilege?«
    »Nein, das weiß keiner. Aber was ich weiß, ist, dass niemand auf der Welt den geeigneten Ton besser finden würde als du.«
    »Ach, Jens! Mein Ton ist leider auch nicht immer der grandioseste. Ich … du … also du und ich …«
    Jens lachte. »Gut, dafür bekommst du jetzt keinen Pulitzerpreis. Aber ich versteh dich so gut, Irmi. Es ist schwer, immer so auf die Distanz. Für mich doch auch. Es liegt immer so viel Leben zwischen uns. Weißt du, ich habe mir Sorgen gemacht, als du plötzlich wieder zu Hause warst, weil ich Angst hatte, du bist noch nicht so weit. Ich weiß schon, du bist ein großes Mädchen, das alles alleine kann. Du kannst sogar Bäume fällen, aber ich mach mir eben trotzdem Sorgen.«
    Irmi fiel es schwer, darauf etwas zu erwidern. Genau das war die Krux ihres Liebeslebens: Sie war zu groß und zu stark. Sie konnte Nägel in Wände schlagen, mit Bohrern umgehen, Bäume fällen, Kühen die Klauen schneiden, Traktor fahren. Sie hatte die Männerdomänen okkupiert, da gab es nur wenig, worin der Held im Mann vor ihr hätte brillieren können. Sie sah genau hin, sie hörte Botschaften zwischen den Zeilen, sie bohrte Finger in Wunden. Sie war schlecht zu manipulieren und schwer zu beeindrucken. Mein Haus, mein Auto, meine Jacht, mein Rennpferd, mein Chalet in St. Moritz – all das zog bei ihr nicht.
    Jens hingegen beeindruckte sie sehr wohl, weil er klug war, witzig, aufrichtig und zugewandt. Aber wahrscheinlich zeigte sie ihm das viel zu selten. All ihre Männer hatten sich anfangs von ihrer Stärke angezogen gefühlt. Schwache, wenig selbstbewusste Bürscherl waren es letztlich gewesen, die früher oder später zu einer Frau übergelaufen waren, die weniger raumfüllend war. Zu anschmiegsamen Hasis oder bösartigen Zimtzicken, die den Helden anhimmelten oder die Dramaqueen gaben.
    Irmi wunderte sich immer wieder: Frauen, die zickten und tobten und ihren Kerl bevormundeten, blieben trotzdem im Spiel. Weil der Mann sich letztlich auserwählt und geliebt fühlte. Vielleicht dachte er: Wenn eine meinetwegen solche Stückerl aufführt, was muss ich doch ein toller Hecht sein! Irmi war da anders. Sie setzte auf die Selbstbestimmung des Einzelnen und wollte beim Heldenspiel nicht mitmischen. Dabei machte sie es Jens aber ganz sicher nicht leicht.
    »Es ist schön, dass du dich um mich sorgst. Aber sei versichert, ich bin wieder am Boden angekommen. Es freut mich, dass du so viel von meinen Fähigkeiten hältst. Und du hast natürlich recht. Ich muss weiterbohren, auch wenn sich das Ganze als Einbahnstraße herausstellen sollte.«
    »Wo war der alte Herr denn stationiert?«
    »Der Pfarrer sprach von Honningsvåg, vom Porsangerfjord. Du bist doch mein wandelndes Geschichtslexikon. Kennst du zufällig die Geschichte von Xaver Schmid, der von Unterammergau auszog Richtung Nordkap?« Irmi lachte.
    »Natürlich bin ich brillant«, alberte er zurück. »Aber ihn kenne ich ausnahmsweise nicht. Was ich weiß, ist, dass sich der Einmarsch der Deutschen in Norwegen im April 2010 zum siebzigsten Mal gejährt hat. In den norwegischen Medien gab es jede Menge Berichte dazu, und das Thema wurde auch in zahlreichen Büchern aufgearbeitet – in Dokumentationen, persönlichen Erinnerungen und Romanen. Das zentrale Motiv dabei ist stets das Volk, das geschlossen Widerstand gegen die Besatzungsherrschaft leistet. Ich denke, genau darauf baut das kollektive Selbstverständnis der Norweger auf. Der Spielfilm ›Max Manus‹, der 2010 auch in den deutschen Kinos lief, handelt von einer Gruppe norwegischer Saboteure und glorifiziert den Widerstand. In der Finnmark, die ja ganz schön weitab ist vom Schuss, ist die deutschen Besatzung der zentrale Bezugspunkt der nationalen Gedenkkultur.«
    »Aber wie konnte es dann überhaupt sein, dass sich ein norwegisches Mädchen in einen Deutschen verliebte?«
    »Liebe hält sich eben nicht an Politik oder Vernunft oder Völkergrenzen. Die offizielle Glorifizierung findet sich nicht unbedingt in den Einzelschicksalen wieder. Der Einmarsch in die Finnmark war anfangs ja auch gar nicht geplant. Oslo ja, Südnorwegen ja,

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