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Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Titel: Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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sie über die Lebensmitte hinausgereist war, spürte sie die bohrenden Fragen. Was hatte ihr Vater erlebt? Was ihre Mutter? Wie hatte es sie geprägt?
    Und sie fühlte sich schuldig, weil auch sie als junge Frau diese »Wie konntet ihr da mitmachen?«-Parole geschmettert hatte. Heute kannte sie die Antwort: Menschen waren leicht aufzuhetzen, sie rannten mit der Masse, weil sie ihnen Schutz bot. Selbst heute, wo die Welt transparent war wie das Spiegeleis auf dem Staffelsee und man weit in die Tiefe blicken konnte, selbst heute, wo alle Informationen via Internet, Facebook und Twitter fast jedem zugänglich waren, ließen sich Menschen so leicht ködern für scheinbare Ideale.
    Auch ihre Mutter hatte wenig erzählt, nur dass sie BDM -Führerin gewesen war und man dann halt in der Jugendgruppe, bevor man mit Singen und Stricken loslegte, dem Konterfei an der Wand kurz einen lässigen Hitlergruß zugeworfen hatte. Die Socken hatte man eben für die Soldaten an der Front gestrickt. Irmi konnte sich nicht erinnern, dass ihre Mutter jemals behauptet hätte, sie habe von den KZ s nichts gewusst. Nie hatte sie einen wertenden Satz über Juden gesagt, und Irmi hatte nicht gefragt.
    Sie hatte sich schuldig gemacht am Vergessen, denn die Zeitzeugen waren gestorben, ohne dass die Nächstgeborenen gefragt hatten. In ihrer Familie wie in so vielen anderen auch. Wenn die Generation von Xaver Schmid starb, dann war – wie Jens es so treffend ausgedrückt hatte – das alles Geschichte. Irmi wusste natürlich, dass die Angehörigen jener Generation einen ganz einfachen Grund gehabt hatten, nichts zu erzählen. Sie waren es über die Jahre leid geworden, sich wieder und wieder entschuldigen zu müssen.
    Noch nie in ihrem Leben hatte Irmi diese Beschämung so körperlich gespürt wie jetzt, da ihr die Magensäure in den Hals hochstieg: Eine ganze Generation hatte diese Kultur des Hinunterschluckens perfektioniert. Sie hatten den Irrsinn und so viel mehr noch in ihren Seelen verschlossen. Was das in ihnen angerichtet hatte, das wagte Irmi sich kaum vorzustellen.
    Bäreninsel, zerbrochene Schiffe, Filzläuse, Todesgefahr – wie lapidar hatte Xaver Schmid das hingeworfen. Irmi wusste, dass einer, der so zu schweigen gelernt hatte, jetzt nicht mehr anfangen würde zu reden.
    »Wie haben die Norweger die Besatzung denn aufgenommen?«, fragte sie etwas abrupt. Was für eine dumme Frage, dachte sie schon im nächsten Moment.
    »Wir waren keine Unmenschen. Die auch nicht. Ich habe länger auf einem Hof gewohnt. Die hatten nichts. Wie wir damals auch.«
    »Und Sie haben sich verliebt?«
    »Die Norwegerinnen sind schöne Frauen. Große Busen, dicke Zöpfe. Nibelungen.«
    »Eine Norwegerin hatte es Ihnen besonders angetan. Sie wurde schwanger. Das haben Sie dem Pfarrer erzählt, Herr Schmid.«
    Er blinzelte wieder.
    »Herr Schmid, Sie sind vielleicht alt, aber Sie sind völlig klar im Kopf. Haben Sie nie darüber nachgedacht, was aus Ihrem Kind geworden ist? Ob Sie vielleicht weitere Enkel haben?«
    »Gib deim Vögelchen mal a Wasser, Frau Polizeirat«, entgegnete er.
    Hatte es so nicht auch die resolute Gerti formuliert? Wie merkwürdig das klang in den heutigen Zeiten, aber jede Generation hatte eben ihre eigenen saloppen Sprüche, dachte Irmi.
    »Die Ionella, die bei Ihnen war, hatte eine Freundin. Sie hieß Runa und war eine Studentin aus Tromsø. Die haben Sie sicher mal gesehen? War das Mädchen bei Ihnen im Haus?«
    »Kann sein.«
    »Herr Schmid, was, wenn das Ihre Enkelin oder auch Urenkelin war? Was, wenn Ihre Familie das wusste und das Erbe nicht teilen wollte? Was steht eigentlich in Ihrem Testament?«
    Er schwieg hartnäckig.
    »Herr Schmid, wollen Sie wirklich abtreten, ohne das geklärt zu haben? Sie sind doch ein Kerl. Wie hieß Ihre Freundin damals?«
    »Es war so viel Nebel«, sagte er, und aus seinen Augen, die anscheinend immer leicht entzündet waren, rannen ein paar Tränen.
    Irmi stand in ihrer ganz persönlichen Vorhölle. Ihr war klar: Er würde nicht reden.
    »Wir können uns einen Durchsuchungsbeschluss holen und Ihren Safe aufbrechen lassen. Sie haben doch einen. Liegt da das Testament? Wo ist der Safe?«
    »Dein Gehirn muss zum TÜV , Frau Polizeirat«, sagte er und wischte mit einem Tempo die Tränen weg.
    Das Gespräch, das eine einzige Salve an Fragen gewesen war, war beendet. Fast.
    »Wenn ihr was sucht, im Haus ist nichts«, sagte er leise.
    »Und diese Brandbombe? Wo kam die her?«, fragte Irmi.
    »Aus dem

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