Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
erklärte Hladik, er wolle Lew außerhalb der Kasernenzone desinfizieren lassen. Das Ganze war ein äußerst riskantes Abenteuer, denn Rödels Wohnung lag über dem Quartier eines SA-Offiziers. Rödel und seine Familie empfingen Lew wie einen Ehrengast. »Der Tisch war mit allen möglichen Delikatessen gedeckt«, erinnerte sich Lew. »Wir unterhielten uns lange … und dann stellte Erik das Radio an, so dass ich mir die ›Neuesten Nachrichten‹ aus Moskau mit Militärberichten vom sowjetischen Informationsbüro anhören konnte. An den Inhalt der Programme kann ich mich nicht mehr entsinnen, aber seltsamerweise hat sich mir folgende Formulierung eingeprägt: ›In Georgien ist die Teeernte eingebracht worden.‹«
    Schließlich wurden die Deutschen misstrauisch gegenüber Hladik. Einer der anderen Wärter zeigte ihn wegen deutschfeindlicher Aktivitäten an, und Hladik wurde zum Verhör geladen. Danach schickte man ihn an die norwegische Front. Lew, der nicht als Dolmetscher weiterarbeiten wollte, bat die Lagerbehörden, ihn seiner Pflichten zu entheben, da sein Deutsch nicht gut genug sei, um die Möglichkeit von Ungenauigkeiten auszuschließen. »Ich fügte hinzu, dass ich zu Propagandaarbeit unfähig sei, da es mir an Überredungskunst fehle – ich sei bloß Naturwissenschaftler.« Im November wurde er zu der Arbeitsbrigade der Fabrik Kopp und Haberland in Oschatz zurückgebracht.
    Die Bedingungen in Oschatz verschlechterten sich in jenem Winter drastisch. Die Zahl der Arbeitsstunden wurde erhöht, und dieWärter prügelten die erschöpften Gefangenen, um sie zu größerem Einsatz anzutreiben. In den ersten Monaten des Jahres 1943 kamen zusätzlich neue Kriegsgefangene in die Arbeitsbrigade. Die meisten stammten aus der Ukraine, die von den Deutschen besetzt war und wo der Terror und die Hungersnot der dreißiger Jahre einen hohen Bevölkerungsanteil ausgelöscht hatten. Bald nach ihrer Ankunft lockerte sich die Lagerordnung im Rahmen der deutschen Bemühungen, die Gefangenen für die Russische Befreiungsarmee (ROA) anzuwerben, jene von Andrej Wlassow organisierte antisowjetische Streitmacht. Wlassow, ein ehemaliger General der Roten Armee, war im Juli 1942 in deutsche Gefangenschaft geraten und hatte die Nationalsozialisten überredet, ihn zum Anführer einer Befreiungsbewegung zu ernennen, die das kommunistische Regime hinwegfegen sollte. In Oschatz waren eine Gruppe von Wlassows Rekrutierern, hauptsächlich russische Emigranten der Vorkriegszeit, die »eine unbestimmbare, aber nichtdeutsche Uniform trugen«, wie Lew berichtete, und eine kleinere Anzahl früherer sowjetischer Subalternoffiziere aktiv. Die Offiziere hatten sich der Russischen Befreiungsarmee nach Lews Eindruck vor allem deshalb angeschlossen, um den schrecklichen Arbeitslagern für Kriegsgefangene zu entgehen, in denen sowjetische Soldaten »viel grausamer behandelt« wurden »und weniger Rechte und Mittel zur Selbstverteidigung hatten als die Gefangenen jedes anderen Landes«.
    Lew wurde mehrfach von den Deutschen und Wlassows Anwerbern bedrängt, der ROA als Offizier beizutreten, doch er lehnte jedes Mal ab. Die Deutschen wurden argwöhnisch und befragten Lew nach seiner Tätigkeit als Dolmetscher im HASAG-Lager. Während einer Zigarettenpause bei einem der Verhöre nahm der deutsche Dolmetscher Lew beiseite und warnte ihn auf dem Flur, dass man ihn für das Scheitern von Wlassows Rekrutierern verantwortlich mache. Da sich im Lager nur aus Lews Brigade kein Soldat freiwillig zu Wlassows Armee gemeldet hatte, fiel der Verdacht auf ihn als einzigen Sowjetoffizier in seiner Gruppe.
    Lew begriff, dass er entkommen musste. In seiner Brigade hatten drei andere Gefangene den gleichen Plan. Sie beschlossen, ihrenFluchtversuch im Juni zu machen, wenn die Ernte gerade reif genug sein würde, um ihnen auf dem Weg ins 150 Kilometer entfernte Polen Nahrung zu verschaffen. Dort würde die Bevölkerung ihrer Ansicht nach Mitgefühl haben und sie verpflegen. Sie gedachten, zu den sowjetischen Partisanen in Belarus zu stoßen und später in die UdSSR zurückzukehren. Zur Vorbereitung für die Flucht sparten sie sich trockenes Brot und Zucker auf. Lew stellte einen Kompass her und kopierte eine Karte, die ihm einer der deutschen Gefängniswärter geliehen hatte. Dieser unterhielt sich gern mit Lew über seine Familie und zeigte ihm dann auf der Karte, wohin er an den Wochenenden Ausflüge gemacht hatte. Sogar Medikamente konnten sie sich besorgen: Lew schnitt

Weitere Kostenlose Bücher