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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Achmatowa und den Blok? Ich sehnte mich nach Puschkin und Deinem geliebten »Steinernen Gast« – ich weiß noch, wie Du einmal daraus für mich rezitiert hast, als wir Arm in Arm unter den Lichtern des Twer-Boulevards dahinspazierten. La Traviata ist ebenfalls etwas, das ich nicht ohne Emotionen hören kann, wenn jemand eine Melodie daraus pfeift oder wenn ich sie im Radio höre …
   Sweta, wie Du gesagt hast, wir werden es überstehen …
   Ich muss nun Schluss machen. Ich wünsche Dir alles Gute. Schicke nichts außer Briefen – Briefen – Briefen! …
 
Lew
     
    8 Lew wurde am 31. Juli 1936 vor dem Ertrinken in der Istra gerettet.
     
    9 Ehemals Wissenschaftliches Forschungsinstitut für die Kunstharzbranche.
     
    10 Lew war nach Artikel 58–1 (b) der Strafgesetzgebung verurteilt worden.

4
     
    Der Gulag hatte komplizierte Regeln, was das Versenden und Empfangen von Briefen anging. Diese Regeln änderten sich im Lauf der Zeit mit den Umständen und wurden in jedem Arbeitslager mit unterschiedlicher Strenge angewandt. Wie viele Briefe ein Häftling empfangen durfte, hing von seinem Strafmaß und der Erfüllung seiner Produktionsnormen ab.
    Den Gefangenen im Holzkombinat war offiziell ein zensierter Brief pro Monat erlaubt. Das war besser als in anderen Lagern, wo mitunter nur vier pro Jahr zugestanden wurden. In einem Brief vom 1. August 1946 an Tante Olga schrieb Lew, es gebe »keine Einschränkungen« für die Zahl der Briefe und Pakete, die er empfangen dürfe.
     
Briefe und Drucksachen [ banderoli ] treffen hier innerhalb von 2 oder 3 Wochen ein, aber wir kennen Beispiele dafür, dass sie von Moskau aus nur 7 oder 8 Tage benötigten. Sie werden nicht lange von den Zensoren aufgehalten … Wenn Du mir schreibst, denk bitte daran, Deine Briefe der Reihe nach zu nummerieren, damit ich feststellen kann, ob alle ankommen. Es ist nicht nötig, mir Sachen zu schicken, es sei denn vielleicht Papier und Bleistifte.
     
    Lews Worte entsprachen nicht ganz der Wahrheit. Häufig zeichnete er absichtlich ein beruhigendes Bild der Lagerbedingungen. In Wirklichkeit wurden Briefe nur zwei- oder dreimal im Monat überbracht, weshalb Häftlinge zumeist mehrere Sendungen gleichzeitig empfingen. Doch dies waren immer noch relativ gute Zustände, jedenfalls viel besser als in den Lagern der dreißiger Jahre, als die Insassen manchmal jahrelang keine Post erhielten. Die Zensur war relativ oberflächlich und wurde überwiegend von den Frauen derWärter und anderer Funktionäre ausgeübt. Sie lasen die Briefe in vielen Fällen nicht gründlich, sondern schwärzten nur die eine oder andere harmlose Wendung, um zu zeigen, dass sie ihre Arbeit machten. Allerdings war dies den Gefangenen nicht bekannt, weshalb sie in ihrer Korrespondenz häufig Selbstzensur betrieben.
    Auch Päckchen und Drucksachenrollen bereiteten einige Schwierigkeiten. Der Versand hing von einem komplizierten bürokratischen Verfahren ab, das Reisen nach Mytischtschi oder zu irgendeinem anderen Ort außerhalb Moskaus erforderte, da Päckchen nicht aus der sowjetischen Hauptstadt in die Lager geschickt werden durften. Man musste Stunde um Stunde in langen Schlangen anstehen, um die Sendung prüfen und registrieren zu lassen. Pakete durften nicht mehr als acht Kilo wiegen, und wenn sie im Lager eintrafen, kam es zu einem gleichermaßen umständlichen Verfahren für den Empfang. Im Holzkombinat wurden Pakete von einem MWD-Büro abgeholt, wo der Kontrolleur sämtliche Gegenstände auspackte und sich selbst bediente, bevor er den Rest des Inhalts an die Häftlinge weiterreichte. Da die Wärter Lebensmittel, Geld und warme Kleidung fast immer für sich behielten, riet Lew Freunden und Verwandten davon ab, ihm solche Dinge zu schicken, und bat sie nur um Bücher. Doch auch hier war Wachsamkeit vonnöten, denn ausländische Literatur wurde in der Regel beschlagnahmt, besonders wenn sie vor 1917 erschienen war. Deshalb warnte Lew Sweta in seinem ersten Brief:
     
Wenn Du oder Tante Olja mir also Bücher schicken wollt, dann achtet darauf, dass sie billig sind. Je billiger die Ausgabe und je abgegriffener das Buch, umso besser, denn dann verschwendet Ihr nicht so viel Geld, falls sie verlorengehen. Und wenn Ihr mir fremdsprachige Literatur sendet, passt auf, dass es eine sowjetische Ausgabe ist und dass sie nicht aus einem Antiquariat stammt, denn das kann zu einem Missverständnis mit den Zensoren führen, wonach sie mir die Bücher vorenthalten.
     
    Lews

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