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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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(dialektischer Materialismus). Sonntags ging sie mit ihrer Lebensmittelkarte einkaufen (Fleisch, Eier, Zucker, Milchprodukte und manchmal sogar Brot unterlagen weiterhin der Kriegsrationierung), oder sie fuhraus der Stadt hinaus zu der Datschenparzelle, auf der ihre Familie Gemüse anbaute.
    Sweta suchte Ablenkung in ihrer Freizeit, doch dies verschaffte ihr nicht immer Freude, denn so viele Menschen, die Lew und sie während des Studiums gekannt hatten, waren im Krieg umgekommen. »Ich treffe mich nicht oft mit unseren alten Freunden von der Universität«, schrieb sie Lew. »Es ist einfach zu schmerzlich.« Die meisten ihrer Freundinnen waren bereits verheiratet und hatten kleine Kinder – worum Sweta sie beneidete –, und es war ein bittersüßes Gefühl für sie, Orte aufzusuchen, an denen sie früher mit Lew gewesen war. »Heute nach den Vorlesungen«, teilte sie ihm mit, »schlug der Akademische Sekretär vor, einen Spaziergang am Ufer der Moskwa entlang zu machen. Wir kamen bis zur Steinbrücke und überquerten sie, um durch die Alexander-Gärten auf die Metro an der Lenin-Bibliothek zuzusteuern. Mich machte das so traurig.«
    Sweta tat ihr Bestes, um den Kontakt zwischen ihren alten Freunden und Lew herzustellen. Sie wusste, dass es gut für seine Moral sein würde, von ihnen zu hören. Der Erste, der ihm schrieb, war Alexander Slenko, der mit Lew im Leipziger Kriegsgefangenenlager gewesen war. Er meldete sich am 19. September:
     
Hallo, lieber Lew! Du lebst also noch? Ich weiß nicht, ob Du gesund bist, aber jedenfalls scheinst Du noch am Leben zu sein. Ich habe eine Postkarte von Swetlana erhalten, in der sie mir mitteilt, dass Du wieder aufgetaucht bist, doch sonst schreibt sie nichts anderes außer Deiner Adresse und ein paar Worten über Medikamente (frag sie selbst)!
     
    Naum Grigorow, Lews Freund von der Physikalischen Fakultät, schickte einen Brief mit einem Foto seines neugeborenen Sohnes – eine riskante Sache für ihn als Parteimitglied und Forscher in subatomarer Physik an der Universität Moskau. Dann traf eine Sendung von Jewgeni Bukke ein, Lews ältestem Freund (sie hatten sich seit ihrem ersten Schuljahr einen Schreibtisch geteilt) und Kollegenam Physikalischen Institut. Kurz darauf folgte ein Brief von Jewgenis Mutter, der Schauspielerin Xenia Andrejewa, der Einblick in Swetas Gemütszustand gegen Kriegsende bietet. Nachdem Sweta jegliche Hoffnung aufgegeben hatte, Lew wiederzusehen, hatte sie sich von Jewgenis Familie distanziert, was Xenia zunächst irritierte:
     
Ich war sehr überrascht und verärgert über Swetlana, die mich plötzlich nicht mehr besuchte. Das konnte ich mir nicht erklären. Ich ging sogar zur Universität, um sie ausfindig zu machen, aber es war sehr schwierig, weil ich nichts außer ihrem Namen kannte. Ich dachte, ihr sei etwas zugestoßen, doch nun verstehe ich, weshalb sie nicht mehr kam.
     
    Lew sorgte sich, dass viele seiner Freunde und fernen Verwandten vielleicht nicht mit einem Häftling korrespondieren wollten. »Ich habe Angst, ein unerwünschter Gast zu sein«, schrieb er Sweta am 23. Oktober. »Nicht jeder mag es angenehm finden, Grüße aus unserem Winkel der Welt zu erhalten … Vielleicht glaubst Du, darüber ein besseres Urteil abgeben zu können, aber ich fürchte, dass Du Dich irrst, denn nicht alle teilen Deine Gefühle.« Sweta war ungehalten darüber, dass Lew solche Zweifel hegte. In ihrem 15. Brief »rüffelte« sie ihn:
     
Was die Schirme angeht. 12 Sag mir, Ljowa, wenn jemand an Deine Tür klopfte, würdest Du ihn einlassen, obgleich er Dir nicht sehr nahesteht, und ungeachtet seiner Herkunft? Natürlich würdest Du das. Woher also nimmst Du Dir das Recht, andere schlechter als Dich selbst einzuschätzen? Ich weiß, dass es nicht Deine Absicht ist, aber darauf läuft es hinaus. Vielleicht bin ich ein bisschen verwöhnt worden, was nicht gut sein mag, aber es fällt mir nicht schwer, Gefälligkeiten oder Fürsorge und Hilfe zu akzeptieren, manchmal sogar erhebliche Hilfe, und ich versuche nicht, dafür zu zahlen. Mein Gewissen erlaubt mir, so zu handeln,denn ich werde das Gleiche tun (oder würde es tun, wenn es nötig wäre), nicht unbedingt für dieselbe Person, aber für jemand anders. Ljowa, Du musst sanfter sein und mehr Nachsicht mit Menschen haben – das Gleiche gilt für gewisse Ereignisse und Probleme. Zu große Bescheidenheit ist zu tadeln, genau wie Stolz, Lew. Verzeih mir, wenn ich Dir Rat erteile und über allgemeine

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