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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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geschätzt wird. Er hängt es nicht an die große Glocke, sondern beschränkt sich auf den ›häuslichen Gebrauch‹, was mir ebenfalls gefällt.« Lew unterhielt sich gern über Moskau mit Gleb, dessen Frau und Sohn dort mit ihrer Mutter wohnten. Da Lew seine Freunde sehr detailliert beschrieb, lernte Gleb sie gleichsam kennen. Auch vertraute er Gleb Neuigkeiten über die Hauptstadt aus Swetas Briefen an, aber ersprach kaum von ihr selbst. »Ich kann Dich mit niemandem teilen«, erklärte Lew gegenüber Sweta. »Du gehörst mir!«
    Der 22-jährige Oleg Popow, halb Lette und halb Russe, gehörte ebenfalls zu der Gruppe. »Oleg ist erstaunlich«, schrieb Lew. »Er spricht Russisch mit einem leichten Akzent und kennt das eine oder andere Wort nicht, aber ihn beim Erlernen neuer Wörter zu beobachten ist wirklich ein Vergnügen.« Lew bezog eine seltsame Befriedigung aus seinen »täglichen Gesprächen mit Oleg, manchmal auf Englisch, über alle möglichen trivialen Dinge, die nicht viel bedeuten, doch trotzdem existieren«. Ihm gefiel Olegs »naive Intelligenz«, und er hielt seinen Kameraden für »ein Original (im besten Sinne)«.
    Darüber hinaus gehörten zu der Gruppe, die bei Strelkow zusammenkam, noch »die beiden Nikolais«: Litwinenko (»Nikolai der Jüngere«), ein 21-jähriger politischer Häftling aus Kiew, und Lilejew (»Nikolai der Ältere«), ein 24-jähriger Leningrader, der sich bei Tschikin für Lew eingesetzt hatte. Lilejew war wie Lew 1945 von SMERSCH verhaftet und danach wegen Vaterlandsverrats zu zehn Jahren verurteilt worden. Die Deutschen hatten ihn gezwungen, als Dolmetscher und dann als Präfekt in einem Konzentrationslager zu arbeiten. Lew und Lilejew hatten einander im Konvoi von Frankfurt nach Petschora kennengelernt und standen sich deshalb besonders nahe. »Er ist bescheidener und offener als der jüngere Nikolai … der eine praktischere Einstellung zum Leben und eine Begabung dafür hat, es zu seinem Vorteil zu gestalten, wodurch er manchmal unaufrichtig wirken kann – eine Eigenschaft, die ich, wie Du weißt, nicht mag«, schrieb Lew an Sweta. Lilejew sei »einfacher und direkter«, hin und wieder bis zur »Taktlosigkeit« – eine Schwäche, die Lew zuerst nicht störte, ihn jedoch im Lauf der Zeit zunehmend verärgerte.
     

    Strelkow (Mitte) in seinem Labor mit Lew (zu seiner Rechten), Konon Tkatschenko, einem Chemieingenieur im Kraftwerk (zu seiner Linken), und den »beiden Nikolais«, die hinter ihm stehen (Litwinenko links und Lilejew rechts)
     
    »Es ist keine so langweilige Welt mehr, Gott sei Dank!«, schrieb Lew in Anspielung auf Gogol 14 am 18. November. In GesellschaftStrelkows und seiner anderen Freunde konnte er sogar an einem so gottverlassenen Ort wie dem Arbeitslager Petschora freudige Momente erleben. »Im Allgemeinen war der Tag gar nicht so übel.«
     
Nach der Arbeit verbrachte ich eine Stunde bei Strelkow im Labor, und wir lauschten einer Sendung von Der Opritschnik 15 im Rundfunk. Sie bereitete mir größtes Vergnügen … Um 19 Uhr brach ich »nach Hause« auf, und ein paar Minuten später widmete ich mich schweigend dem Abendessen. Dann beschloss ich – fast so, als wäre ich tatsächlich zu Hause –, in die Banja zu gehen. Entschuldige meine schlechte Schrift. Birken sind inunserem Teil der Welt zwar nicht sehr reichlich vorhanden, aber es gab genug grüne Birkenzweige, und Ljoscha Anissimow zwang mich, den Bräuchen der Moskauer Banja Tribut zu zollen. Nach einem guten Schwitzbad sollte man guten Tee trinken, aber Nikolai (Lilejew) bestand darauf, diese überholten Bräuche aufzugeben. Also tranken wir gemeinsam Mokka unter einer 150-Watt-Lampe mit einem Schirm aus dunkelblauem Seidenkrepp. (Dies spielt sich in ihrer kleinen Baracke ab. Wir wohnen unglücklicherweise anderswo, ungefähr 20 Meter weiter, wo wir nur 40-Watt-Birnen besitzen. Genau das ist unser Messstab für häuslichen Komfort.) Du siehst, was für Gourmets wir hier sind – wir gaben uns nicht mit Kaffeeersatz zufrieden. Und während wir die tropischen Düfte einatmeten, die aus den Zinnbechern aufstiegen, sprachen wir liebevoll über Moskau, Leningrad und Nowosibirsk. Danach, obwohl es nach lokalen Maßstäben bereits spät – 21 Uhr – war, gingen wir hinaus, um den Frost zu genießen und zu den Sternen emporzublicken. Doch die Sterne waren von Wolken verhüllt, und der Mond erwies sich als kaum sichtbar. Wir spazierten auf den Wegen zwischen den Kiefern und unseren Baracken, die

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