Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Dienstreise genehmigen zu lassen, als dies noch möglich war. Nun ist es zu spät. Und ich koche vor Wut und weiß nicht, was ich tun soll.
Beunruhigt darüber, dass ihr früherer »Tadel« als grausam angesehen werden konnte, machte sie den Sinn ihrer Worte nun deutlicher: »In meinem letzten Brief habe ich Dich gescholten, damit Du niemals auf den Gedanken kommst, dass mein Leben ohne Dichbesser sein könnte. Vorsichtshalber wiederhole ich diese Worte jetzt, falls Du den Brief nicht bekommen hast.«
Sweta lechzte danach, Lew zu besuchen. Wenn sie Lews Ratschlag befolgte, würde ein weiteres Jahr vergehen, bevor sie ihn wiedersah. 1949 würde sie 32 Jahre alt sein. Wie viel länger konnte sie noch darauf warten, dass ihr Leben »weiterging«? Wann würde sie endlich ein Kind haben? Sie kannte den Preis ihrer Verbindung mit Lew (er hatte sie oftmals davor gewarnt): die wachsende Möglichkeit, dass sie nie Mutter werden würde.
Sweta hatte die Frage von gemeinsamen Kindern in beiden »Tadel«-Briefen angeschnitten. Sie schilderte Lew ein Gespräch mit Onkel Nikita, in dem er behauptete, niemand habe »das Recht, Leben zu spenden«. Ohnehin hätten Menschen aus egoistischen Gründen Kinder und dächten dabei nur an sich selbst. Sweta hatte entgegnet, »neues Leben bringe die Möglichkeit von mehr Güte in einer Welt mit sich, die sie benötige«. Ihrer Meinung nach war Nikita verbittert, denn »er fühlt sich seinem Sohn gegenüber schuldig, weil er ihn gezeugt hat, denn er hat nicht dafür sorgen können, dass der Junge ein unbeschwerteres und glücklicheres Leben führen konnte«. Die Lösung bestand laut Sweta darin, mehr als nur ein Kind zu haben. Hätte Nikita ein weiteres Kind gehabt,
ein jüngeres oder, noch besser, ein älteres, so gäbe es inzwischen ein paar Enkelkinder, um die er sich kümmern und die seinem Leben einen Sinn verleihen könnten, womit er gar nicht erst auf solche Gedanken gekommen wäre. Vielleicht macht das Geschlecht hier viel aus. Für eine Frau ist das Leben bereits erfüllt, wenn sie geliebt und Kinder gehabt hat. Für jede (oder fast jede) Frau ist das der Mittelpunkt ihres Lebens, egal wie viele andere Interessen sie im öffentlichen Leben, bei der Arbeit etc. haben mag.
Nach Moskau zurückgekehrt, beschloss Sweta erneut, nach Petschora zu reisen, und zwar vor Ende des Sommers. Natalia Arkadjewna würde am 18. August dorthin aufbrechen, um ihren Sohn Gleb zubesuchen. Die beiden sprachen ab, dass Sweta ihre Institutsleitung irgendwie bewegen würde, die Mittel für eine Inspektionsreise nach Kirow kurz danach freizugeben. Natalia sollte ein Telegramm in das Postamt in Kirow schicken, um Sweta mitzuteilen, ob ein zweiter Versuch, das Arbeitslager zu besuchen, machbar sei. Die Zeit wurde knapp, doch die Risiken, ohne ausreichende Vorbereitung zu fahren, waren hoch. »Einerseits werden die Chancen mit jedem Tag geringer«, schrieb Sweta am 13. August, »aber andererseits ist es unmöglich, zu reisen, ohne die erforderlichen Vorkehrungen getroffen zu haben – und die Vorkehrungen zu treffen ist sehr mühsam.«
Es scheint also am klügsten zu sein, abzuwarten, bis N. A. eintrifft – dann kann sie mir ein Telegramm schicken … Sie reist am 18. ab, so dass sie es wahrscheinlich frühestens am 19. aufgeben kann, was bedeutet, dass ich bis zum 20. in Kirow sein muss. Ich habe Angst, einen Moment länger zu warten. Leider kann ich den goldenen Mittelweg nicht finden. Vielleicht wäre es besser, zusammen mit ihr zu fahren, aber dann könnte es ein Problem beim Besorgen der Fahrkarten geben. Wenn ich nichts von ihr höre, werde ich es einfach auf eigene Faust riskieren und am 22. oder 23. eintreffen. Ich werde Dir natürlich ein Telegramm aus Kirow schicken, doch das wird Dich möglicherweise nicht rechtzeitig erreichen. Es wäre schön, eines Tages eine Begegnung ohne all diese Pläne organisieren zu können. Laut dem neuen Fahrplan (für dieses Jahr) laufen Züge nicht mehr nachts ein, sondern zwischen 10 und 11 Uhr morgens, wie I[wan Lilejew, Nikolais Vater] bestätigt, aber damit sind wohl keine großen Schwierigkeiten verbunden. Wenn mich niemand abholen kann, werde ich an ihrem Arbeitsplatz nach ihnen Ausschau halten (mit leichtem Gepäck und ohne Hinweis darauf, dass ich gerade erst angekommen bin), statt direkt ihre Wohnung anzusteuern. 31 Ich glaube, das wäre angemessener. Es macht mich so nervös, dass ich mich falsch verhalten könnte. In meiner Dummheit habe
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