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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie nicht helfen!« schrie Gerholdt den Stabsarzt an.
    »Und? Nach grober Schätzung hat der Krieg den Deutschen sechs Millionen Tote gekostet! Da kommt es auf einen mehr nicht an …«
    »Schweine!« sagte Gerholdt laut. Er verließ das Lazarett und fuhr zurück zu der kleinen Fischerhütte. Die Zähigkeit seines Willens, die bisher immer – wenn auch unter großen Opfern – zum Ziele geführt hatte, bemächtigte sich wieder seines Wesens. Die Auskunft des Stabsarztes, der Zynismus dem menschlichen Leben gegenüber erzeugten in ihm, dem ein Menschenleben bisher wenig galt, eine Kraft, die aus Wut und Enttäuschung geboren wurde.
    Er wußte, daß nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen war. Wie vor dreizehn Jahren in Hamburg, als er das Kind des Reeders von Buckow raubte, wie vor wenigen Monaten, als er allein durch die russischen Linien nach Angerburg ritt und mit einem holprigen Pferdekarren in großem Bogen die russischen Divisionen umfuhr und auf der Nebenstraße des sowjetischen Vormarsches im letzten Augenblick die rettende Ostseeküste erreichte und mit dem letzten Boot hinaus auf das eisige Meer flüchtete, griff er auch jetzt zu dem Unmöglichen und realisierte es durch eine rätselhafte Kraft seines Willens.
    Er ging zu dem Stadtkommandanten von Husum, einem englischen Oberstleutnant Forsy, und forderte einen Wagen für Frau von Knörringen. Einen Wagen in das Krankenhaus von Flensburg.
    Der englische Oberstleutnant Forsy sah den hageren, weißhaarigen und etwas nach vorn gebeugten Mann mit dem ledernen Gesicht verblüfft an. Ein Greisenkopf mit den Augen eines Jünglings.
    »Einen Wagen?« wiederholte er. »Nach Flensburg? Für eine Frau?«
    »Ja.«
    »You are crazy …«
    »Vielleicht.« Frank Gerholdt hielt sich an der Stuhllehne fest, die vor dem Tisch des Kommandanten stand. »Wir leben in einer Zeit, Herr Oberstleutnant, wo den Verrückten die Welt gehört.«
    Oberstleutnant Forsy lächelte mokant. »Sorry!«
    »Bitte. Die Frau ist schwer krank. Sie wird sterben, wenn Sie nicht einen Wagen zur Verfügung stellen, der sie nach Flensburg zu einem Spezialarzt bringt. Eine unschuldige Frau, Herr Oberstleutnant! Warum sollen die Frauen und Kinder unter den Sünden der Väter leiden? Warum sollen am Ende die Frauen die letzten Opfer des Krieges sein? Kämpften Sie gegen Frauen, Herr Oberstleutnant? Sie haben gesiegt – Sie und Ihre Nation und Ihre Verbündeten. Es ist die edelste und vornehmste Aufgabe des Siegers, großzügig und edelmütig zu sein. Edelmütig nicht gegen uns – – – aber edelmütig gegen die unschuldigen Frauen, die bei allen Nationen die größten Leiden zu tragen haben: die Tränen um die Gefallenen.« Frank Gerholdt atmete schwer, er wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah den starren Oberstleutnant an. »Denken Sie an Ihre Mutter, Mr. Forsy. Das Schicksal hätte es fügen können, daß ich an Ihrer Stelle stehe und Sie mich bitten.«
    »Und was hätten Sie zu mir gesagt?«
    »Das, was Sie mir antworten werden – – –«
    Oberstleutnant Forsy sah auf seine lederne Reitgerte. Sein Gesicht war verschlossen.
    »Der Krieg ist grausam«, sagte er leise. »Er ist ein Unglück für die Menschen. Warten Sie …«
    Er verließ das Zimmer. Frank Gerholdt setzte sich auf den Stuhl, dessen Lehne er vorher umklammert hatte. Er fühlte eine Schwäche in sich emporsteigen, deren er nicht Herr zu werden vermochte. Was wird er tun, dachte er müde. Wird er mich verhaften lassen? Bin ich zu weit gegangen? Wie kann ein Mensch zu weit gehen, wenn er verzweifelt ist …
    Er hatte sich kaum gesetzt, als Oberstleutnant Forsy mit zwei jungen Soldaten wieder in den Raum trat. Sie blieben an der Tür stehen, während Forsy wieder hinter seinen Schreibtisch trat. Gerholdt nickte und erhob sich von seinem Stuhl.
    Also doch, dachte er. Verhaftet. Jetzt werde ich in ein Camp kommen. Jetzt werden Rita und Frau von Knörringen ganz allein sein. Wer wird sich um sie kümmern? Ich habe einst für diesen Krieg gearbeitet – – – jetzt verschlingt er mich selbst! Wie sagte einmal Napoleon: Die Revolution frißt ihre eigenen Kinder …
    »Ich nehme es Ihnen nicht übel«, sagte er langsam zu Oberstleutnant Forsy. »Sie sind der Sieger – – –«
    Forsy winkte zu den Soldaten hin. »Fahren Sie, Sir«, sagte er hart. »Ich kann Ihnen nur einen Jeep geben. Die Soldaten werden Ihnen helfen. Und« – er sah wieder auf seine Gerte – »hoffentlich hat es einen Sinn und die Frau wird gerettet

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