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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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traf Rita allein in dem Zimmer hinter dem Schweinestall an, schlafend, im Traum noch schluchzend und die Decke mit den kleinen, dürren Fingern umkrampft haltend, als sollte sie ein Schutz vor der Angst und dem Schmerz sein, mit dem sie in den Schlaf der Erschöpfung hinübergedämmert war.
    Frank Gerholdt setzte sich an das Strohlager und streichelte Rita leise und zärtlich über die langen, blonden Haare und das blasse, zuckende Gesicht.
    »Es wird alles anders werden«, sagte er leise. »Ich verspreche es dir, mein Kleines. Ich werde wieder arbeiten wie ein Besessener, ich werde die Fabrik aufbauen und unser Haus am Rhein. Und wenn ich wieder an der Drehbank stehen muß wie damals in Köln … wir werden nicht hungern, Rita. Wir werden eine Zukunft haben … ich verspreche es dir …«
    Am nächsten Morgen fuhren sie nach Flensburg. Ein Lastwagenfahrer, der im Dienst der Engländer mit seinem Lastzug Feldbetten nach Flensburg schaffen mußte, nahm sie gegen Zahlung von fünftausend Reichsmark mit.
    »Wenn die Tommies das merken, fliege ich«, sagte er zu Gerholdt und steckte die Geldscheine ein. »Aber wenn ich dein Kind ansehe – Junge, ich habe auch eine solche Tochter. Und ich weiß nicht, wo sie ist. Sie hat zuletzt am 10. März geschrieben … aus Niederschlesien. So ein unbekanntes Kaff … Kinderlandverschickung hieß das damals.« Er wischte sich mit der großen Hand über das Gesicht. »Kommt, steigt auf und legt euch unter die Plane … Vielleicht ist da unten auch einer, der meine Margot mitnimmt.«
    So kamen sie nach Flensburg.
    In der Nacht kletterten sie über die Gleise des Güterbahnhofes und sahen auf Gleis drei den Güterzug nach Hamburg stehen. Dunkel, unbeleuchtet, feindlich.
    Gerholdt stellte den Gepäcksack auf den Schotter und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Rita drückte sich an ihn. Sie tastete nach seiner Hand.
    »Ich habe Angst, Papi –«
    »Er fährt uns an den Rhein zurück«, flüsterte Gerholdt. »Zuerst nach Hamburg …«
    »Und Frau v. Knörringen. Wollen wir sie allein lassen?«
    »Sie ist gut aufgehoben, Rita. Wir werden sie zu uns holen, wenn sie wieder gesund ist und wir unser Haus wieder aufgebaut haben.«
    Rita sah mit ihren großen, blauen Augen zu Gerholdt empor. Ihre Stimme klang verwundert.
    »Ist unser Haus auch zerstört?« fragte sie.
    »Ich nehme es an.«
    »Und die Fabrik?«
    »Bestimmt –«
    »Ganz zerstört?«
    »Ich fürchte – ja.«
    »Dann sind wir arm, Papi …« In ihrer Stimme schwang ein Klang, der durch das Herz Gerholdts schnitt. Er umfaßte Ritas schmale Gestalt und drückte sie an sich.
    »Millionen Menschen sind jetzt arm, Rita. Wir sind es nicht allein.«
    »Und wir werden nie wieder unser Haus haben, Papi? Wir werden nie wieder am Rhein stehen und –«
    »Wir werden alles wiederbekommen, Rita! Wir werden Stein für Stein aufeinandersetzen. Wir müssen nur erst dort sein …« Er nahm seinen Gepäcksack wieder auf und sah hinüber auf den dunklen Güterzug. »Komm … in einer Stunde soll er abfahren. Wenn wir erst in Hamburg sind, sind wir auch am Rhein –«
    Hamburg, dachte er. Wie gemein und höhnisch doch das Schicksal ist! In Hamburg begann mein großes Schicksal vor dreizehn Jahren … und nach Hamburg kehre ich jetzt zurück, zerstört, arm, ein Hinterbliebener einer Riesenleiche, die Deutschland heißt.
    »Komm!« sagte er heiser. »Ich bin solange nicht am Ende, solange ich einen Anfang sehe …«
    Rita verstand ihn nicht … aber sie folgte ihm durch die Nacht über den Schotter der Gleise und kletterte an seiner Hand in einen Viehwagen.
    Auf den nackten, rissigen Holzboden breitete Gerholdt die Decken und schob den Kleidersack als Kopfkissen unter den Nacken Ritas. »Schlaf jetzt«, sagte er. »Wir müssen frisch sein, wenn wir in Hamburg ankommen.«
    Dann stellte er sich an einen Spalt der Schiebetür und spähte hinaus in die Nacht. Würde man sie entdecken? Würde man den Zug kontrollieren? Er war versucht zu beten: Mein Gott, laß es nicht zu! Gib uns den Weg nach Westen frei!
    Aber er tat es nicht.
    Er schämte sich vor Gott …
    In dieser Nacht saß Dr. Schwab wieder am Rhein dem englischen Kommandanten gegenüber, in der Landhausvilla Gerholdts , die britische Pioniere und Handwerkereinheiten wieder wohnlich gestaltet hatten. Und Oberstleutnant Piget sagte, indem er ein Glas Portwein trank:
    »Wie ich Ihren Chef einschätze, schlägt er sich nach hier durch. Darauf warten wir bloß. Er ist ein Kriegsverbrecher und wird

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