Schicksal in zarter Hand
„Er ist schwer verletzt.“
„Und der andere arme Teufel ist tot“, stellte Bruce bedauernd fest.
„Ich muss mir einige Tage freinehmen“, verkündete Lexi.
Er betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. „Du fährst zu Franco?“
„Ich muss einfach.“
„Obwohl du dabei bist, dich von ihm scheiden zu lassen?“
Lexi wurde rot und wünschte, sie hätte Bruce nie gesagt, dass die Papiere vor zwei Wochen an Francos Anwälte geschickt worden waren.
„Das spielt jetzt keine Rolle. Franco und Marco waren wie Zwillinge. Bei einer solchen Tragödie muss man seine Streitigkeiten aussetzen. Das gehört sich einfach.“
„Völliger Blödsinn, Lexi!“, sagte Bruce grob. „Als deine lausige Ehe in die Brüche ging, bist du zu mir gekommen. Ich weiß, was dein Mann dir angetan hat. Ich habe deine Tränenfluten einzudämmen versucht. Wenn du jetzt glaubst, ich sehe einfach schweigend und tatenlos zu, wie du wieder in diese Falle tappst und die Beziehung zu ihm erneuerst, hast du dich geirrt.“
Trotzig hob sie das Kinn. „Die Beziehung zu erneuern habe ich nicht vor.“
„Sondern?“ Das klang schneidend.
„Ich besuche einen schwer verletzten Mann, der um seinen Freund trauert.“
„Zu welchem Zweck tust du das?“
Ihr lag eine hitzige Antwort auf den Lippen, aber sie beherrschte sich.
„Du liebst ihn noch immer“, behauptete Bruce verächtlich.
„Das tue ich nicht!“, widersprach sie und ging zum Schreibtisch, um nach ihrer Handtasche zu suchen.
„Aber du begehrst ihn noch immer.“
„Nein.“ Sie öffnete eine Schublade nach der anderen, vor allem, um nicht aufblicken zu müssen.
„Warum fährst du dann zu ihm?“, wollte Bruce hartnäckig wissen.
Endlich hatte sie die Tasche gefunden und zog sie aus der Schublade. „Ich nehme mir nur einige Tage frei, Bruce! Das ist doch keine große Sache, oder?“
„War er bei dir im Krankenhaus, als du euer Baby verloren hast? Nein! Hat es ihm etwas ausgemacht, dass dir das Herz brach? Dass du Angst hattest und völlig allein warst?“ Wieder beantwortete er die Frage selber. „Nein! Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich seinem neusten Betthäschen zu widmen. Ganze vierundzwanzig Stunden brauchte er, um sich auf dich zu besinnen. Wenn ich daran denke, dass dieses Flittchen in der Zwischenzeit damit geprahlt hatte, bei ihm gewesen zu sein, und dass du das natürlich mitbekommen musstest, dann …“
Bruce ballte die Fäuste. „Jedenfalls schuldest du ihm nichts. Gar nichts.“
„Trotzdem will ich mich nicht so schäbig benehmen wie er“, hielt Lexi dagegen. Obwohl Bruce natürlich mit allem recht hatte. „Bitte versteh doch, Bruce, dass ich mich selber nicht mehr ausstehen könnte, wenn ich nicht fahre.“
„Auf Kosten unserer Beziehung, Lexi?“
Wieder brannten ihr Tränen in den Augen, und sie blickte ihn starr an. Bruce war attraktiv und elegant, außerdem zwölf Jahre älter als sie. Seine Reife und Weltgewandtheit drohten sie manchmal förmlich zu überrollen. Nun wirkte er eiskalt und zornig, seine schmalen Lippen waren zynisch verzogen.
Diese Seite seines Charakters zeigte er ihr sehr selten, und tatsächlich hätte sie sich nicht träumen lassen, dass er offen jenes Thema ansprechen würde, das sie beide in den letzten Monaten so sorgfältig vermieden hatten. Er war ihr Ratgeber, ihr Retter in der Not, ihr engster Freund, und sie liebte ihn wirklich – auf eine ganz eigene Art. Wie niemand anderen sonst.
Aber nicht auf die Weise, die er sich erhoffte!
„Vergiss bitte, was ich da gesagt habe, Lexi!“ Er seufzte schwer. „Ich bin wütend, weil dieser … weil Franco ausgerechnet jetzt wieder die Fänge nach dir ausstreckt, wo du …“ Wieder seufzte er. „Nein, fahr zu ihm. Vielleicht erkennst du ja, nachdem du ihn jahrelang nicht gesehen hast, dass du inzwischen erwachsen geworden bist und er noch immer …“ Bruce ging zur Tür. „Ich hoffe jedenfalls, du kannst einen Schlussstrich unter deine Gefühle für ihn ziehen. Und dann mit deinem Leben weitermachen, ohne dass dieser Mistkerl dir dazwischenfunkt.“
Ohne ein weiteres Wort verließ er das Büro. Lexi stand da, die Tasche an sich gepresst, und wäre ihm am liebsten nachgelaufen, um ihn anzuflehen, er möge sie verstehen.
Dann wurde ihr klar, dass in diesem Moment ein Schlussstrich unter ihre bisherige Beziehung zu Bruce gezogen worden war. Was war sie für eine Närrin gewesen! Sie hatte geahnt, was er für sie empfand, aber sie hatte die Gedanken an
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