Schicksal in zarter Hand
einen Funken Verstand besäße, würde sie sich umdrehen und einfach weggehen.
Aber das tat sie nicht. Stattdessen folgte sie Pietro ins Haus, weiter einen stillen Korridor entlang zu einem Lift und in den ersten Stock, wo ein weiterer Flur zu einer Tür führte, die der Chauffeur ihr öffnete.
Lexi atmete tief durch und ging in den Raum. Es war ein Vorzimmer, möbliert mit bequemen Sesseln und einem Tisch, auf dem sich Hochglanzmagazine stapelten. Das Aroma frisch gebrühten Kaffees lag in der Luft. Eine hübsche Krankenschwester saß an einem Schreibtisch, den Blick auf einen Computermonitor gerichtet.
„Oh, guten Tag, Signora Tolle“, grüßte sie freundlich.
Lexi wunderte sich, dass die andere sie auf Anhieb erkannte.
„Ihr Mann schläft“, fuhr die Schwester fort, „aber Sie können gern reingehen und sich zu ihm setzen. Das tut ihm bestimmt gut, auch wenn er es nicht bewusst mitbekommt.“
Mit wild pochendem Herzen ging Lexi ins Krankenzimmer. Sie schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Ihr war schwindlig vor Angst. Angst davor, was sie jetzt zu sehen bekommen würde.
Zuerst nahm sie nur den Raum wahr, groß, still und hell gestrichen. Das Nachmittagslicht fiel in Streifen durch die Jalousien. Dann sah sie die Infusionsflaschen, die Schläuche und Kabel, die vom Bett zu verschiedenen Apparaten mit Bildschirmen führten, auf denen Kurven und Zahlen flimmerten und pulsierten.
„Komm ruhig näher, Lexi“, erklang es unerwartet aus dem Bett. „Ich beiße nicht.“
2. KAPITEL
Beim Klang der vertrauten heiseren Stimme erschauerte Lexi und schaute zum Kopfende des Betts. Welches Bild würde sich ihr bieten?
Außer blütenweißem Leinen sah sie zunächst nichts. Es lagen keine Kissen im Bett, und das Gestell am unteren Ende, mit dem das Laken von den Beinen ferngehalten wurde, versperrte den Blick auf das Gesicht des Patienten.
Ihr Herz klopfte wieder wie wild, denn sie wusste, was das alles bedeutete. Wenn jemand flach auf dem Rücken liegen musste, wies das auf eine Rückenverletzung hin, das Gestell ließ vermuten, dass die Beine gebrochen waren. Die Infusionsflaschen verhießen auch nichts Gutes.
Warum habe ich mich nicht erkundigt, was Franco tatsächlich fehlt, tadelte sie sich. Vielleicht sollte sie das nachholen und sich bei der Schwester erst mal informieren, was …
„Lexi, falls du daran denkst, sofort wieder hinauszustürzen – tu’s nicht!“ Franco klang ungeduldig.
„Woher weißt du, dass ich es bin?“, fragte sie erstaunt, denn er konnte sie ja ebenso wenig sehen wie sie ihn. Und gesagt hatte sie auch noch nichts.
„Du benutzt immer noch dasselbe Parfüm.“
Dass er sich daran noch erinnerte, wunderte sie. Er musste doch inzwischen so viele andere Düfte genossen haben, so viele andere Frauen. Alle waren sie, wenn man den Klatschmagazinen glauben durfte, umwerfend schön, sexy und weltgewandt, ganz anders als …
„Hab doch Mitleid mit einem armen Kerl, der sich nicht rühren kann, und komm hierher, wo ich dich sehen kann“, forderte Franco sie auf.
Tief durchatmend ging sie näher zum Bett. Ihre Knie waren weich wie Pudding. Der Atem stockte ihr, als sie Franco daliegen sah: flach auf dem Rücken wie aufgebahrt, und zu drei Vierteln von einem Leintuch bedeckt. Die Schultern und die muskulösen Oberarme waren nackt, abgesehen von dem Verband um die linke Schulter und über den Rippen. Die Bandage bedeckte nicht ganz die zahlreichen Blutergüsse am Oberkörper.
„Ciao, bella“, grüßte Franco heiser. Er klang erschöpft.
Lexi spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. „Was hast du bloß angestellt, Franco? Du siehst ja schlimm aus!“, flüsterte sie schockiert.
Franco freute sich, dass sein Anblick Lexi zu Tränen rührte. Ja, er wollte, dass sie sich seinetwegen aufregte und Sorgen machte! Er wollte, dass sie ihn bedauerte – und war bereit, die Mitleidsmasche ungeniert durchzuziehen.
Wie gut sie aussieht, dachte er, während er darauf wartete, dass sie ihn endlich direkt anschaute. Die Haare fielen ihr offen um das zarte Gesicht, wie ein rotgoldener Schleier, ihre großen grünblauen Augen glänzten. Schade, dass sie die weichen Lippen fest zusammenpresste, wahrscheinlich, damit sie nicht zitterten.
Leider trug sie völlig reizlose Sachen. Die weite graue Jacke und der locker geschlungene graue Schal verbargen ihre schlanke Figur mit den schönen weiblichen Rundungen. Trotzdem war Lexi für ihn der erste Lichtblick in diesen schwärzesten Tagen
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