Schicksal!
haben.
Ich beobachte Sara, bis sie hinter einer Kurve verschwindet; dann drehe ich mich wieder zu dem kleinen schreienden Monster um, das mit vierundzwanzig im Gefängnis vergewaltigt werden wird.
Weniger als eine Woche später begegne ich Sara in der U-Bahn.
Ich fahre die Houston Street entlang in Richtung Uptown, als sie meinen Waggon betritt und sich direkt gegenüber von mir hinsetzt.
Die U-Bahn ist einer der wenigen Orte, die ich nicht unsichtbar betrete. Wenn die Menschen mich nicht sehen können, ist es nämlich durchaus möglich, dass sie sich aus Versehen auf mich draufsetzen oder in mich hineinrennen. Und sie bemerken es natürlich trotzdem, wenn ich unter unkontrollierbaren Flatulenzen leide.
Das passiert schon mal.
Sicher, ich könnte mich zurück in mein Apartment teleportieren und das ganze Chaos vermeiden. Aber zum Beobachten der Menschen gehört nun einmal – das Beobachten. Und ich kann Menschen nicht besonders gut beobachten, wenn ich sie meide. Nebenbei bemerkt ist die U-Bahn ein hervorragender Ort, um Schicksale neu zuzuweisen.
Also bleibe ich sichtbar und hoffe, dass kein Cracksüchtiger auf dem Sitz neben mir das Bewusstsein verliert und mir meine menschliche Hülle vollsabbert.
Es ist ein bisschen seltsam, Sara so gegenüberzusitzen. Ich kann sie selbst und die Art, wie die Leute auf sie reagieren, nicht so aufmerksam studieren wie sonst, ohne dabei ein wenig merkwürdig rüberzukommen. Ich tue es dennoch. Auch weil sie unter all den anderen in diesem Waggon der einzige Mensch ist, den ich nicht lesen kann.
Um es auf den Punkt zu bringen: Sara Griffen ist hübsch, aber nicht zum Sterben schön.
Ich versuche, wegzuschauen und möglichst nonchalant zu erscheinen, und fühle mich dabei, als ob ich mich
zu
locker benähme. Also wandert mein Blick doch zurück zu ihr – und sie sieht mich an. Ich schlage die Beine übereinander, stelle die Füße dann wieder nebeneinander. Ich räuspere mich. Ich gebe vor, etwas furchtbar Interessantes auf dem Boden zwischen meinen Füßen entdeckt zu haben, und starre angestrengt nach unten. Schließlich hebe ich den Blick.
Sie sieht mich immer noch an.
Ich frage mich, ob ich mich vorstellen soll. Oder ob ich besser an der nächsten Haltestelle aussteige. Oder ob ich ihr sagen soll, dass sie neben einer Frau sitzt, die sich Genitalherpes zuziehen wird.
Stattdessen lächele ich einfach nur.
Sie lächelt zurück.
Ich bin mir nicht sicher, was mich so an Sara Griffen fasziniert. Vielleicht liegt es daran, dass sie vollkommen im Reinen mit sich zu sein scheint, wann immer ich sie treffe. Vielleicht ist es diese besondere Wirkung, die sie offenbar auf andere hat. Oder vielleicht hat es auch nur damit zu tun, dass es mir selbst ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, wenn ich sie lächeln sehe.
Wir fahren die Strecke schweigend, betrachten einander über die kleine Distanz zwischen uns hinweg und lächeln, als würden wir uns über einen Witz amüsieren, den nur wir zwei kennen. Als der Zug den Times Square erreicht, steigt Sara aus – aber nicht, ohne mir einen letzten Blick zuzuwerfen. Dann schließen sich die Türen, und ich bin wieder allein mit diesem Haufen von Fetischisten, Schürzenjägern und Telefonverkäufern auf ihrem Weg zur Upper West Side.
Den Rest der Fahrt denke ich über Bestimmung und Schicksal nach und darüber, wie viele Leute in diesem Waggon professionelle psychologische Hilfe benötigen. Die meiste Zeit spukt jedoch Sara in meinem Kopf herum, und ich überlege, an welchen Orten sich unsere Wege in letzter Zeit gekreuzt haben.
Das Amt.
Der Central Park.
Die U-Bahn.
Auf einer Insel mit nahezu zwei Millionen menschlichen Einwohnern treffe ich zu drei verschiedenen Zeiten und an drei verschiedenen Orten zufälligerweise auf dieselbe Frau – und das innerhalb von kaum mehr als sieben Tagen.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass das Schicksal mir etwas mitteilen will.
10
W ährend der nächsten Wochen sehe ich Sara immer wieder: im Guggenheim, im Central Park Zoo, im Café Le Figaro in Greenwich Village, bei einem Spiel der Yankees und beim Sonnenbaden auf dem Dach unseres Hauses.
Okay, das letzte Zusammentreffen war eher ein Fall von Stalking als eine Zufallsbegegnung.
Ich weiß, dass sie mich eigentlich nichts angeht und dass ich meine Zeit damit verbringen sollte, mich um die Menschen auf meinem Pfad zu kümmern. Nachdem ich ihr so oft begegnet bin, kann ich es allerdings nicht verleugnen: Ich bin
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