Schicksalsbund
nicht ein oder zwei geheime Fluchtwege angelegt hatte.
Sie nickte schroff. »Verkauf mich nicht für dumm, Javier.« Sie kniff die Augen zusammen und musterte ihn eingehend. »Komm her.«
Er wich einen Schritt zurück, denn ihr Gesichtsausdruck ließ ihn argwöhnisch werden. Den hatte er schon mal bei einer Frau gesehen, und er verhieß nie Gutes. »Ich wollte doch nur mit dir hier rumhängen, Jaimie.«
»Wirklich? Warum hast du dann Blut auf dem Ärmel?« Sie rümpfte die Nase. »Ich rieche frisches Blut.«
Die Frau hatte schon immer scharfe Augen gehabt. Und einen noch ausgeprägteren Geruchssinn. Javier zuckte die Achseln. »Alles nur im Rahmen der Pflichterfüllung. Du hattest zwei Ratten an deiner Hintertür. Sie haben dort rumgeschnüffelt, Kleines. Ich habe sie dir vom Hals geschafft, das ist alles.«
Sie schüttelte den Kopf, sprang von der Arbeitsplatte und kehrte ihm den Rücken zu, um sich mit dem Kaffee zu beschäftigen. Ihm fiel auf, dass ihre Hände zitterten. »Ich lasse mich nicht noch einmal darauf ein, Javier. Du darfst nicht zulassen, dass Mack mich wieder in diese ganze Geschichte mit hineinzieht.« Sie ließ die Sahne und den Zucker weg und reichte ihm das aromatische Getränk so, wie er es am liebsten mochte. »Ich kann dieses Leben nicht wieder aufnehmen. Ich bin jetzt hier zu Hause. Ich habe mich hier geschäftlich etabliert, und ich habe Aussicht auf Erfolg.«
»Mack würde dir Erfolg wünschen«, entgegnete Javier und drang damit gleich zum Kern der Angelegenheit vor. »Er täte niemals etwas, was dich gefährden könnte.«
Sie wandte den Blick wieder von ihm ab, und ihre Lippen bebten, bevor es ihr gelang, sich fest auf die Unterlippen zu beißen. Er besaß einen guten Blick für Kleinigkeiten, einen besseren als die meisten anderen, und Jaimie war zwar geschickt darin, ihre Gefühle zu verbergen, doch er kannte sie zu gut. Er trank einen Schluck Kaffee und kostete genüsslich den herrlichen Geschmack aus.
»Mit Mack und mir klappt es nicht«, sagte sie. »Das kann nichts werden. Du bist mein Bruder, Javier. Dir sollte nicht egal sein, dass ich ihn nicht sehen will.«
»Er ist auch mein Bruder, und du bringst ihn um mit dieser Trennung, Jaimie.«
»Er hat uns abgeschrieben. Keiner von euch scheint das zu begreifen.«
»Ich begreife nur, dass ich dich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen habe.« Er konnte nichts für seinen anklagenden Tonfall. Sie war für ihn wie eine Schwester.
Jaimie senkte den Kopf. »Ich weiß. Es tut mir leid. Das war nicht fair von mir. Aber ohne einen klaren Schnitt hätte ich es nicht geschafft, von ihm wegzukommen. Ich musste mit euch allen brechen.«
»Wir müssen dir doch etwas bedeutet haben.«
Jetzt blickte sie zu ihm auf. Rasch und verblüfft. Schockiert. »Natürlich bedeutet ihr mir etwas. Ihr seid meine Familie. Ich hätte den Kontakt zu euch allen aufrechterhalten sollen, das weiß ich doch selbst. Ihr habt mir fürchterlich gefehlt, an jedem einzelnen Tag. Ich hatte niemanden, und ich vermute, ich habe mich mit dem Umstand getröstet, dass ihr alle einander hattet.«
»Ich habe Mack gesehen, nachdem du verschwunden warst. Er war außer sich.«
»Er hat mich nicht zurückgeholt.«
Javier trank noch einen Schluck von dem Kaffee. Nein, Mack war ihr nicht gefolgt, um sie zurückzuholen, und dafür hatte Javier keine Erklärung. Niemand verstand Mack, außer vielleicht Kane, und aus dem war nicht viel über Mack herauszuholen. Sie hatten alle versucht, mit ihm zu reden, aber Jaimie war zu einem Tabuthema geworden, und sie hatten schnell gelernt, sie nicht zu erwähnen.
»Ich bin nicht über ihn hinweg«, gab Jaimie zu. »Ich habe ihn gesehen, und es hat mich schier zerrissen. Ich kann nicht all das noch einmal durchmachen, Javier.«
»Ich weiß nicht, was hier vorgeht, Jaimie, aber ich gehe
nicht fort von hier, bevor ich weiß, dass du in Sicherheit bist. In diesem Lagerhaus könnten Waffen eingelagert sein oder auch nicht. Wir werden hineingehen und es herausfinden. Das ist unsere Aufgabe. Aber nicht jetzt, nicht heute Nacht. Heute Nacht steht deine Sicherheit an erster Stelle. Wir müssen dahinterkommen, was hier vorgeht.«
»Er wird bleiben, stimmt’s?«
Javier fluchte innerlich. »Ja, Kleines, er wird bleiben. Auch er würde niemals riskieren, dass dir etwas zustößt.«
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Hast du Hunger?« Plötzlich hob sie den Kopf und machte eine halbe Drehung zur Treppe hin.
Javier folgte ihrer
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