Schicksalsfäden
Nacht sind gut und gern fünf Shilling drin.«
»Ich bezahle dich, sobald du Linley zu mir gebracht hast.«
»Und wenn ich ihn nicht finde?«
»Ich gebe dir eine halbe Stunde. Wenn du ihn bis dahin nicht gefunden hast, beschlagnahme ich dein Boot und werfe dich drei Tage in den Kerker. Ist das Ansporn genug?«
»Bis ich Sie heute traf, dachte ich immer, Sie wären ein feiner Kerl«, sagte der Fährmann beleidigt. »Aber Sie sind gar nicht so toll, wie’s in den Zeitungen immer heißt. Und ich hab Stunden in Tavernen gesessen, um Geschichten von Ihren Heldentaten zu hören …« Er trottete davon.
Grant lächelte grimmig. Er wusste, wie seine Taten in den Zeitungen ausgeschlachtet und übertrieben wurden. Für die gewöhnlichen Leute war er eine Legende und nicht ein Mensch mit all seinen Schwächen. Als Bow-Street-Runner hatte er sich auf die Wiederbeschaffung von Diebesgut für Banken spezialisiert. Und das Geschäft lief sehr gut. Gelegentlich übernahm er auch andere Fälle, forschte nach entführten Erben, diente als persönlicher Leibwächter eines Monarchen auf Staatsbesuch oder jagte Mörder. jeder gelöste Fall mehrte seinen Ruhm, bis er das Gesprächsthema in den Pubs und Kaffeehäusern Londons geworden war.
Sogar die tonangebende Gesellschaft hatte ihn an ihre juwelengeschmückte Brust gedrückt und bestand auf seiner Anwesenheit bei gesellschaftlichen Anlässen. Es hieß,. der Erfolg eines Balles sei gesichert, wenn ›in Anwesenheit von Mr. Morgan‹ auf der Einladung zu lesen war. Dass er trotz seiner allgemeinen Beliebtheit in den höchsten Kreisen nicht dieser Klasse angehörte, war selbstverständlich. Er diente der Unterhaltung. Die Damen erschauerten beim Gedanken daran, wie gefährlich der Mann sein konnte, die Herren suchten seine Nähe, um von seinem abenteuerlichen Glanz etwas abzubekommen. Grant wusste, dass diese feine Gesellschaft ihm nie vertrauen würde.
Dafür kannte er zu viele ihrer schmutzigen Geheimnisse, ihrer Ängste und Begehrlichkeiten, und er kannte ihre verwundbaren Stellen.
Ein kalter Windstoß traf sie und die Frau in seinen Armen stöhnte und zitterte.
Grant hielt sie noch fester an sich gepresst, ließ den Fluss hinter sich und überquerte die mit Schlamm und Pferdeäpfeln verkrustete Kopfsteinpflasterstraße. Er überquerte einen kleinen, rechteckigen Platz, vorbei an einem stinkenden Schweinepferch, Fässern mit abgestandenem Wasser und einem Karren mit gebrochenen Rädern. Orte wie diese, schmutzige Plätze, von denen sich finstere Gassen wie Spinnweben ausbreiteten, gab es viele in Covent Garden. Kein Gentleman mit gesundem Menschenverstand würde sich in diese Gegend wagen, in der Diebe, Huren und Halsabschneider ihr Unwesen trieben. Aber Grant war kein Gentleman und die Londoner Unterwelt konnte ihn nicht schrecken.
Der Kopf der Frau lag auf seiner Schulter, er spürte ihren kühlen, schwachen Atem an seinem Hals. »Tja, Vivien«, sagte er leise, »es gab Zeiten, da hätte ich dich zu gern in meinen Armen gehalten, aber so habe ich mir das nicht vorgestellt.«
Kaum zu glauben, dass er die begehrenswerteste Frau Londons durch Covent Garden trug. Metzger und Hausierer blickten ihm neugierig hinterher, eine Hure löste sich aus dem Schatten und rief gierig: »He, Süßer, willste was zum Naschen?«
»Ein andermal«, sagte Grant sarkastisch.
Nordwestlich des Platzes erreichte er die King Street wo die heruntergekommenen Gebäude schönen Stadthäusern, belebten Cafes und dem einen oder anderen Verlag wichen. In dieser gepflegten Gegend mit ihren bogengeschmückten Hauseingängen wohnte die bessere Gesellschaft. Grant hatte sich hier ein elegantes, zweistöckiges Haus gekauft. Das Bow-Street-Revier lag nur wenige Schritte weit weg und schien doch meilenweit von diesem ruhigen Ort entfernt.
Schnell stieg Grant die Treppen zur Eingangstür hinauf und gab der Mahagonitür einen Tritt. Weil von innen keine Reaktion zu hören war, trat er noch einmal fester dagegen. Plötzlich öffnete sich die Tür und Grants Haushälterin erschien schimpfend auf der Schwelle.
Mrs. Buttons war eine unbeugsame Frau um die fünfzig mit freundlichem Gesicht gutem Herzen und strengen religiösen Überzeugungen. Dass sie die Art, wie Mr. Grant sein Geld verdiente, nicht guthieß, war ein offenes Geheimnis. Sie verabscheute die Gewalttätigkeit der Welt in der er sich bewegte Und doch empfing sie freundlich viele Mitglieder dieser Unterwelt die an ihrer Schwelle um Hilfe
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