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Schicksalsfäden

Schicksalsfäden

Titel: Schicksalsfäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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eine große Leere.
    Er drehte ihr Gesicht ihm zu, seine warmen Finger lagen an ihrem Hals. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel:
    »Grant Morgan.«
    »Was … Was ist geschehen?« Sie versuchte, den Schleier der Erinnerung zu zerreißen. »Ich war im Wasser …«
    Plötzlich erinnerte sie sich an das Brennen in den Augen, an die dunkle Stille, an dieses Gefühl der Lähmung, als ihr bewusst wurde, dass sie den Kampf um Atemluft verloren hatte, dass ihre Lungen jeden Moment explodieren würden. Es war, als würde sie etwas unaufhaltsam in die Tiefe ziehen. »Jemand hat mich aus dem Wasser geholt.
    Waren Sie das?«
    »Nein. Ein Fährmann hat Sie gefunden und einen Bow-Street-Runner geholt. Das war zufällig ich.« Seine Hand streichelte ihren Rücken. »Was ist Ihnen zugestoßen? Warum waren Sie im Wasser, Vivien?«
    »Vivien?« wiederholte sie verwirrt. »Warum nennen Sie mich so?«
    Die Stille, die auf ihre Frage folgte, machte ihr Angst. Sollte sie den Namen kennen? Vivien? Sie versuchte verzweifelt dem Namen ein Gesicht eine Bedeutung zu geben. Nichts.
    »Wer ist Vivien?« Ihr Hals schmerzte so sehr, dass sie kaum einen Ton herausbrachte.
    »Beruhigen Sie sich«, sagte Grant. »Erinnern Sie sich nicht an Ihren eigenen Namen?«
    »Nein … Ich kann mich nicht … Ich kann mich an überhaupt nichts erinnern.« Sie schien vor Angst und Verwirrung zu zittern. »Oh, ich glaube, mir wird übel.«
    Mit einer erstaunlich schnellen Bewegung griff Grant nach einer Schüssel auf dem Nachttisch und beugte ihren Kopf darüber. Ihr Körper bäumte sich auf und sie würgte trocken. Nachdem die Krämpfe nachgelassen hatten, hing sie kraftlos und erbarmungswürdig schlotternd über seinem Arm. Grant legte sie so hin, dass ihr Kopf an seinem muskulösen Oberschenkel ruhte.
    »Helfen Sie mir«, stöhnte sie.
    Lange Finger strichen ihr sanft über das Gesicht. »Alles wird gut. Haben Sie keine Angst.«
    Und obwohl sie wusste, dass sie sich in einem besorgniserregenden Zustand befand, fühlte sie sich tatsächlich gestärkt und geborgen durch seine Stimme, seine Berührung, seine Nähe. Auch ihre Glieder zitterten nicht mehr so, wenn er sie streichelte. »Ganz ruhig atmen«, sagte er, während seine Finger kreisförmig über ihre Brust strichen.
    Und in diesem Moment dachte sie, dass es sich so anfühlen musste, wenn einen in Leid und Krankheit ein Engel besuchte. Ja, dies musste die Berührung eines Engels sein.
    Ach habe Kopfschmerzen«, krächzte sie. »Ich fühle mich so seltsam … bin ich verrückt geworden? Wo bin ich?«
    »Ruhen Sie sich erst einmal aus. Um alles andere kümmern wir uns später.«
    »Bitte sagen Sie mir noch mal Ihren Namen. Bitte.«
    »Ich heiße Grant. Sie sind in meinem Haus und Sie sind hier in Sicherheit.«
    Sie glaubte zu spüren, dass seine Gefühle für sie zwiespältig waren, dass er seine wahren Gefühle nicht zeigen konnte. Er wollte eigentlich nicht so mitfühlend sein, aber er konnte einfach nicht anders, dachte sie.
    »Grant«, hauchte sie, tastete nach seiner warmen Hand auf ihrer Brust und drückte sie auf ihr Herz. »Danke.« Sie spürte, wie er den Atem anhielt, dann schloss sie die Augen und schlief in seinem Schoß ein.
    Grant schob noch einmal Viviens Kissen zurecht und deckte sie gut zu. Die ganze Zeit versuchte er z zu verstehen, was passiert war. Schon oft hatte er Frauen in Not geholfen. Zu oft, um sich Gedanken um die einzelnen Schicksale zu machen. In seinem Beruf war es für alle Beteiligten besser, wenn er eine professionelle Distanz wahrte. Seit Jahren hatte er nicht mehr geweint. Nichts hatte den Panzer, den er um sein Herz errichtet hatte, durchdringen können.
    Doch Vivien, mit ihrer verletzlichen Schönheit und ihrem überraschenden Liebreiz, hatte ihn mehr berührt und bewegt als er für möglich gehalten hätte. Und er freute sich darüber, dass sie hier in seinem Haus in seinem Bett war. Er legte seine Hand auf ihr Herz, und seine Hand brannte, als hielte er ihr Leben in Händen. Er wollte bei ihr bleiben, sie festhalten, nicht aus Leidenschaft, sondern um ihr die Wärme und den Schutz seines Körpers zu geben.
    Grant fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch das Haar. Was war los mit ihm? Entschlossen stand er auf.
    Die Erinnerung an seine erste Begegnung mit Vivien vor zwei Monaten war noch frisch. Es war bei einem Ball anlässlich des Geburtstags von Lord Wentworth’ Geliebter gewesen. Ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem sich vor allem die

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