Schicksalspfad Roman
twa fünf Meilen westlich der kleinen Stadt Echo Falls in Texas, im Herzen der texanischen Hügel, wo Klapperschlangen und Skorpione im gelblich-braunen Busch lauern, stand ein weißes Holzhaus mit blauen Fensterläden, überschattet von zwei riesigen Chinkapin-Eichen. Das Haus war von einem Hektar Rasenfläche umgeben, die dringend gemäht werden musste. Zwischen den beiden Eichen schaukelte schläfrig eine Hängematte.
Grace verliebte sich auf den ersten Blick in das Haus. Sie war mit dem Taxi angekommen, weil sie Matts Angebot, sie vom hundert Meilen entfernten Flughafen abzuholen, abgelehnt hatte. Sie wollte nicht, dass er diese lange Strecke allein fuhr, was ihm der Arzt auch nicht erlaubt hätte.
Als das Taxi vorfuhr, kam Matt aus dem Haus. Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt, dazu braune Schnürstiefel und sah zehnmal so gesund aus wie noch ein paar Tage zuvor im Krankenhaus.
»Hallo!« Er grinste sie fröhlich an.
Grace winkte ihm durch das Wagenfenster zu. Gott. Wie gut er aussieht, dachte sie. Was mache ich hier bloß?
Das Taxi kostete mehr als zweihundert Dollar. Grace hätte es gerne selbst bezahlt, weil sie an die zwanzigtausend dachte, die sie bald erhalten würde. Aber Matt ließ das nicht zu. Er öffnete die Wagentür, bezahlte den Fahrer in bar und nahm ihren Koffer.
»Sie haben es geschafft«, sagte er, als sie in den heißen Sonnenschein nach draußen trat. »Wie war die Reise?«
»Schön, danke«, erwiderte Grace mit einem nervösen Lächeln. Sie trug einen butterblumengelben Rock zu einer weißen Bluse - Reisekleidung. Aber als sie in die Hitze trat, fühlte sie sich plötzlich weiblicher als je zuvor. Die verbrannte, vor Schlangen wimmelnde und von Hufen zerstampfte Landschaft ringsum schien einen starken Kontrast zu ihrer Weiblichkeit zu bilden.
»Willkommen in Echo Falls«, sagte Matt und blickte mit unverhüllter und vielleicht unbewusster Bewunderung einmal an ihr auf und ab. »Ich habe Sie ja noch nie in normalen Kleidern gesehen. Mannomann!«
»Danke«, erwiderte Grace. Sie entschied sich, seine Schmeichelei als texanische Höflichkeit zu betrachten, nicht als Überschreitung ihrer gesetzten Regeln. Jedenfalls hatte sie gehofft, mit diesem Outfit vage an die Keuschheit der jungen Pionier-Frauen erinnernd anzuknüpfen. Das waren ernsthafte, pflichtbewusste Mädchen gewesen, für die unangemessene Komplimente ein Tabu waren.
Sie sah sich um. Der Himmel war weit und blau und schien bis ans Ende der Welt zu reichen. Unterwegs war ihr aufgefallen, dass die Vegetation - niedriges Gebüsch, Blumen und Präriegras - gelblich-braun verdorrt war, als hätte es lange nicht geregnet, aber um Matts Haus herum blühte es rot und gelb: Klee, Butterblumen, Goldrute und sogar ein paar wilde Sonnenblumen. Die Sonne brannte heiß vom Himmel, so dass sich an Grace’ Nacken ein Tröpfchen Schweiß bildete und den Rücken hinabrann. Ihr sagte diese trockene Wüstenhitze zu, denn es duftete
nach Staub und rotem Felsgestein. Sie genoss das seltsame Gefühl, wie ein Ziegel von der Sonne gebacken zu werden.
»Gehen wir ins Haus, damit Sie sich frisch machen können.«
»Okay«, sagte Grace. Sie folgte Matt ins Haus, wo sie in der willkommenen Kühle der Klimaanlage von Matts Vater begrüßt wurde. Wade trug einen olivgrünen Anzug und ein blaues Hemd mit einer roten Krawatte, als wollte er zur Kirche gehen. Aber Grace begriff rasch, dass er sich für sie fein gemacht hatte. Ein richtiger Gentleman.
»Willkommen bei den Conners«, sagte Wade stolz und schüttelte Grace die Hand. Er war nicht mehr der gebeugte, gebrochene Mann, den Grace in Erinnerung hatte. Er hielt sich kerzengerade, war frisch rasiert, reckte das Kinn stolz vor und zeigte lächelnd seine kräftigen, nikotinverfärbten Zähne. »Schon eine Weile her, dass wir zuletzt eine Frau im Haus hatten. Wir sind sehr dankbar.«
Grace bedankte sich lächelnd, war aber nicht sicher, wie sie diese Bemerkung deuten sollte.
»Was Pa meint«, erklärte Matt, »ist, dass er so einsam ist wie ein von einem Stinktier bespritzter Hund. Stimmt’s, Pa?« Matt gab seinem Vater einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Wade Conner jaulte auf und boxte Matt gegen den Bustkorb.
»Au!«, schrie Matt und wich lachend zurück. Auch Wade lachte. Er legte dem Sohn einen Arm um den Hals und strahlte Grace an.
»Ich habe diesen komischen Kerl hier großgezogen«, sagte er. »Wenn er Ihnen irgendwelchen Ärger macht, sagen Sie es mir.
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