Schicksalspfade
Pferdezüchter zu, der halb so alt war und sie für die munterste, reizendste Frau in ganz Frankreich hielt. Sie brachte ihm das Getränk, lächelte, sagte »A votre santé, mon cher« und brach dann hinter der Theke zusammen. Das Ende war schnell, schmerzlos und elegant – und entsprach damit genau Sandrines Charakter.
Seit damals nannten sich alle Inhaberinnen Sandrine. In diesem Fall war sie schlank, blond, gut vierzig und in eine erotische Aura gehüllt, die Tom sehr reizvoll fand. Ihre sexuelle Kühnheit verblüffte den jungen Mann, stimulierte ihn aber auch.
»Du bist trés beau, Thomas«, schnurrte Sandrine. »Deine Augen… alors, du verstehst es, eine Frau schwach werden zu lassen, non?«
Das Flirten machte Tom immer mehr Spaß und er überwand seine Verlegenheit schnell, nahm voller Enthusiasmus an dem neckischen Spiel teil. Er ging dabei von der Annahme aus, dass für keine der beteiligten Seiten mehr dahinter steckte.
Er sollte bald mehr über französische Frauen erfahren.
Odile verbrachte das Wochenende bei ihren Eltern in Beziers und hatte Tom versprochen, Sonntagabend zurückzukehren und sich mit ihm bei Sandrine zu treffen. Die Zeit ihrer Abwesenheit verbrachte er in der Bibliothek mit dem Studium des vulkanischen Cthia, der stoischen Kontrolle der Emotionen, die Surak vor Jahrhunderten gelehrt hatte. Er fand das Thema interessant, aber nicht unbedingt packend. Am Sonntagnachmittag glaubte er sich berechtigt, eine Pause einzulegen und die Taverne ein wenig früher als geplant zu besuchen.
Er hatte mit einigen Stammgästen Freundschaft geschlossen, insbesondere mit den Billardspielern, denen er sich verbunden fühlte. Einer von ihnen – ein grauhaariger, verhutzelter Mann namens Balzac, der behauptete, direkt vom berühmten
Schriftsteller abzustammen – war ein außerordentlich
talentierter Spieler, der Tom unter seine Fittiche nahm und damit begann, ihm die Feinheiten des Billardspiels
beizubringen. Tom lernte schnell und fand immer mehr
Gefallen am Billard. Es wurde fast eine Sucht daraus. Er entwickelte ein Belohnungssystem: Nach vier Stunden im Klassenzimmer oder in der Bibliothek durfte er sich zwanzig Minuten Poolbillard genehmigen. Nach acht Stunden vierzig Minuten. Er brauchte seine ganze Disziplin, um an diesem Schema festzuhalten, aber es gelang ihm mit erstaunlich wenigen Ausrutschern.
Tom hatte den ganzen Samstag, Samstagnacht,
Sonntagmorgen und den größten Teil des Sonntagnachmittags in der Bibliothek verbracht, sich damit anderthalb Stunden Billard verdient. Am Abend war er mit Odile verabredet und deshalb beschloss er, sich die Belohnung vorher abzuholen.
Er traf gegen sechs Uhr ein, bevor es in der Taverne zu voll wurde. Sandrine stand hinter der Theke und Tom scherzte kurz mit ihr, bevor er sich auf die Suche nach Balzac machte. Sie spielten seit etwa zehn Minuten, als Sandrine ihnen beiden einen zugedeckten Suppenteller mit einem herrlich duftenden Schmorgericht brachte.
»Das ist Wildbret, chéri«, flüsterte sie mit heiserer Stimme.
»Ich schätze, du bist ein Mann, der Fleisch braucht, nicht wahr?«
»Es gibt gar kein Fleisch, Sandrine. Es ist alles repliziert.«
»C’est vrai, aber dies ist das Ergebnis einer speziellen Replikationsformel, die von meinem Vater stammt. Er
behauptete, echtes Wildbret gegessen zu haben, und angeblich kommt das hier dem Geschmack des Originals sehr nahe.«
»Interessant.« Tom probierte das mit Knoblauch und Salbei gewürzte Schmorgericht. Der Geschmack war recht intensiv, aber nicht unangenehm. Er sah Sandrine an und lächelte anerkennend. »Nicht schlecht.«
Sie schob sich etwas näher und presste ein Bein an seins –
ganz deutlich spürte Tom ihre Körperwärme. Durch die
Wimpern sah sie zu ihm auf. »Es ist Wildfleisch«, murmelte sie. »Genau richtig für einen Mann wie dich.«
Bei Tom stieg die Temperatur. Er nahm Sandrines Parfüm wahr, einen subtilen, unaufdringlichen Duft, weder zu süß noch zu moschusartig, vielmehr etwas Zartes, Sinnliches. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Balzacs amüsiertes Lächeln, wich ein wenig zurück und probierte erneut vom
Schmorgericht, ohne den Blick von Sandrine abzuwenden.
»Ich glaube, da hast du Recht«, erwiderte er und sah ihr dabei tief in die Augen. Sie lächelte geheimnisvoll.
»Spielen wir oder wollt ihr beiden fortgehen?«, fragte Balzac scherzhaft.
Tom stellte den Teller beiseite und griff nach dem Queue.
»Es ist nicht ehrenhaft, ein Spiel einfach so
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