Schicksalspfade
war. Ihre Finger schlossen sich krampfhaft fest um den Rand des Sitzes und sie keuchte leise.
»Senk den Kopf zwischen die Beine«, sagte Tom und die junge Frau kam seiner Aufforderung sofort nach. Einige Sekunden lang verharrte sie in dieser Position, um mehr Blut in den Kopf fließen zu lassen. Schließlich hob sie ihn wieder, vermied es aber, aus den Fenstern zu sehen.
»Ich wusste nicht…«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Du hast von ›desorientierend‹ gesprochen. Es ist ein ganzes Stück schlimmer.«
»Vielleicht habe ich mein erstes Mal vergessen. Es kommt ganz darauf an, was die Augen dem Gehirn mitteilen.«
»In meinem Fall hat das Gehirn mit den Augen gesprochen und sie aufgefordert, nicht hinzusehen. Aber es war bereits zu spät.«
»Du wirst dich daran gewöhnen. Nach einer Weile
empfindest du es sogar als angenehm.«
Odile wagte es, wieder zu den Fenstern hinauszusehen.
Inzwischen bildeten die Sterne bunte Lichtstreifen. »Jetzt ist alles in Ordnung«, sagte sie. »Es belastet mich nicht mehr.«
»Der desorientierende Moment beschränkt sich auf den
Beginn des Warptransfers. Für mich ist er fast… heilig.«
Odile musterte Tom nachdenklich. Er hatte eines seiner persönlichsten Gefühle offenbart und fragte sich besorgt, wie sie darauf reagieren würde. Musste er damit rechnen,
ausgelacht zu werden?
»Ich verstehe den Grund«, sagte Odile schließlich und tiefe Dankbarkeit erfüllte Tom.
Eine Zeit lang flogen sie, ohne zu sprechen, genossen den wundervollen Anblick der vorbeistreichenden Sterne.
In der Woche, in der sie Charlie Day das Skilaufen
beibrachten, beschloss Tom, seinen Vater noch einmal
herauszufordern. Wenn der Admiral diesmal gefragt hätte, ob es dabei um eine junge Frau ging, so wäre er bereit gewesen, eine bestätigende Antwort zu geben. Aber sein Vater
verzichtete auf eine solche Frage und Tom bot die Information nicht von sich aus an.
Es geschah am Lake Tahoe, wo Tom, Odile und Bruno ein wenig Skilaufen und den Beginn des neuen Jahres feiern wollten. Tom hatte immer großen Gefallen an dem Ritual gefunden, das alte Jahr zu verabschieden und das neue zu begrüßen. Er freute sich darauf, das Display eines
Chronometers im Auge zu behalten und zu warten, bis es
»23:59« und dann »00:00« Uhr anzeigte, um anschließend die ersten Sekunden des neuen Jahrs zu zählen.
Die Starfleet-Akademie hatte ein Gebäude in den Bergen am See erworben und in ein Studentenheim verwandelt. Benutzt wurde es vor allem von der Ski-Mannschaft, die während der vergangenen beiden Jahre auf sechsundzwanzig Personen angewachsen war. Tom, Bruno und Odile beabsichtigten, dort einen kurzen Urlaub zu verbringen. Sie nahmen Charlie in ihre Gruppe auf, als Tom herausfand, dass seine Familie die Erde für einen Monat verließ.
Tom kannte den kristallblauen See, seit er ein kleines Kind gewesen war, und in seinem Herzen hatte er einen ganz besonderen Platz für ihn reserviert. Es handelte sich zweifellos um ein Wunder der Natur: ein großes Becken in einer
Bergkette, atemberaubend schön sowohl aus der Luft als auch vom Boden aus gesehen. Wenn man am Ufer stand, sah man über 484 Quadratkilometer blaues Wasser hinweg, umgeben von majestätischen Bergen, an deren Hängen sich grüne Wälder erstreckten. Das Zusammenspiel der Farben – blau, grün, weiß, schiefergrau – war überaus beeindruckend.
In der Nähe gab es einen kleineren, ebenfalls wundervollen See und er war für immer verbunden mit dem tragischen Schicksal der Familie, die ihm seinen Namen gegeben hatte: Donner. Vor fünfhundert Jahren hatten die Pioniere an jenem Ort die Grausamkeit der Natur und auch die eigene kennen gelernt – eine Geschichte, die auch heute noch die Phantasie stimulierte. Es gab nach wie vor eine Gedenkstätte, die an den damaligen Planwagen-Trek erinnerte: einen großen Felsen, der einer Familie, den Breens, als Hüttenwand gedient hatte. Ein dort angebrachtes Schild gedachte ihrer Mühen während des harten Winters von 1846.
Nur Tom wusste von jener alten Katastrophe. Odile und Bruno sahen darin nur ein seltsames Ereignis in der Geschichte eines anderen Landes. Charlie war mehr an Wissenschaft als an historischen Details interessiert. Als sie bei dem großen Felsen standen, berichtete Tom voller Ehrfurcht von den Familien Donner, Reed, Breen und den anderen. Zufrieden stellte er fest, dass seine Zuhörer angemessen beeindruckt waren.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Menschenfleisch essen
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