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Schicksalspfade

Schicksalspfade

Titel: Schicksalspfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Taylor
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hatte, würden sie auch noch so scharfe Fingernägel nicht daran hindern, erheblichen Schaden anzurichten. Eins der wichtigsten Prinzipien des Kampfsports bestand natürlich darin, physische Konfrontationen nach Möglichkeit zu meiden, aber Tom befürchtete, dass die pazifistischen Grundsätze in diesem Fall vielleicht in Vergessenheit gerieten.
    »Ich bitte euch, so etwas hat doch keinen Sinn«, sagte er und versuchte noch einmal, das verbale Gefecht zwischen den beiden Frauen zu beenden. »Wir sollten uns beruhigen und wie zivilisierte Menschen über alles reden…«
    Odile wandte sich ihm zu und Tom begriff entsetzt, dass sie sich anschickte, ihm ihr Gift entgegenzuschleudern. Besser war’s gewesen, wenn die beiden Frauen ihr altes Ritual allein fortgesetzt hätten. Sie schienen die Regeln zu kennen, während er nicht einmal wusste, wie das Spiel hieß.
    Tom stand stocksteif, während Odile ihn mit
    unverständlichen Beschimpfungen überhäufte. Er versuchte, sie zu verstehen – bei den meisten Worten ging es offenbar um seine Vorfahren.
    »Odile…«, sagte er und bemühte sich, möglichst charmant zu lächeln. »Du verstehst nicht…«
    »Putain!«, rief sie, wirbelte herum und ging hinaus. Tom fühlte sich so, als hätte man ihn während des
    Annihilationsvorgangs in den Materie-Antimaterie-Reaktor gestopft, wo er von Kräften, die er nicht verstand und auch nicht kontrollieren konnte, heftig durchgeschüttelt wurde – um dann ausgespuckt zu werden, nachdem jedes einzelne Atom verbrannt war.
    Die Blicke aller Anwesenden waren auf ihn gerichtet. Die Gesichter der meisten Gäste brachten so etwas wie amüsierte Nachsicht zum Ausdruck, wodurch für Tom alles noch
    demütigender wurde. Er merkte, dass Sandrine neben ihm stand, schwer atmete und noch immer voller Zorn steckte. Sie fluchte leise vor sich hin.
    »Es tut mir Leid«, brachte Tom hervor.
    Sandrine trat sofort näher und schlang die Arme um ihn.
    »Mon cher, pauvre petit, wie schrecklich für dich. Sie ist eine boshafte Katze, diese Odile. Du kannst froh sein, dass du sie los bist.«
    Tom löste sich vorsichtig aus der Umarmung. Der Schock ernüchterte ihn und er begriff, dass er so schnell wie möglich zu Odile musste. »Danke für alles, Sandrine. Im Ernst, du bist großartig. Und das Wildbret hat köstlich geschmeckt. Wirklich erstklassig.« Während er hektisch diese Worte hervorbrachte, wich er zur Tür zurück, drehte sich dann um und eilte nach draußen. Kalter Regen fiel, aber er achtete nicht darauf, rief nach Odile. Die Passanten warfen ihm neugierige Blicke zu, zeigten ansonsten aber keine Reaktion. Ein Mann, der durch die Gassen des Hafenviertels eilte und den Namen einer Frau rief, berichtete von einem alten Drama, das für die meisten Leute nur zu vertraut war.
    Er fand sie zwanzig Minuten später. Sie saß auf einem der alten Docks, die noch immer den Hafendamm säumten,
    obgleich seit Jahrhunderten keine Schiffe mehr an ihnen angelegt hatten. Odile wirkte wie ein Häufchen Elend, saß mit angezogenen Beinen und um die Knie geschlungenen Armen da. Das regennasse Haar klebte an ihrem Gesicht und sie schluchzte herzzerreißend.
    Tom näherte sich ihr vorsichtig. »Odile…«, begann er und sie wandte ihm ihr tränenüberströmtes Gesicht zu.
    »Geh weg. Ich will nicht, dass du mich so siehst.«
    Tom wusste instinktiv, dass Odiles Worte nicht ernst gemeint waren. Er näherte sich ihr, so langsam, als sei sie eine gefährliche Substanz, die jeden Augenblick explodieren konnte. Wenige Sekunden später nahm er neben ihr Platz, ohne sie zu berühren. Ein Schritt nach dem anderen…
    »Odile, ich schwöre, dass es nicht so gewesen ist, wie du glaubst…«
    Er glaubte, bereits alles verpatzt zu haben, denn sie drehte abrupt den Kopf und in ihren Augen blitzte es wieder. »Ach?
    Ganz ehrlich, Tommy – ich habe genau den richtigen Eindruck gewonnen, oder?«
    Er versuchte, die Frage ehrlich zu beantworten. Ja, er musste ihr zustimmen. Der Eindruck hatte tatsächlich nicht getäuscht.
    »Es war ein Flirt, ja. Sandrine ist sehr… verführerisch. Aber mehr steckte nicht dahinter.«
    »Wie habe ich mich deiner Meinung nach gefühlt, als ich hereinkam und dich auf ihr sah? Während dir alle Leute zuschauten?«
    Verlegenheit brannte in Toms Wangen. Er gab dem Wein die Schuld, der seine Hemmungen beseitigt hatte. Außerdem war ihm dadurch nicht mehr klar gewesen, dass es bei dem von Sandrine und ihm selbst veranstalteten Spektakel Zuschauer gab. Die

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