Schicksalspfade
zwanzig Minuten lange Suche im Regen hatte ihn wieder einigermaßen nüchtern werden lassen und dadurch sah er den ganzen Zwischenfall mit anderen Augen.
»Es muss schrecklich für dich gewesen sein. Es tut mir sehr Leid.« Versuchsweise legte er ihr die Hand auf die Schulter und war dankbar, als sie sich ihm zuwandte und ihn umarmte.
»Wenn ich dich nicht so sehr lieben würde, täte es nicht so weh«, schluchzte Odile. Tom flüsterte ihr zärtliche Worte zu, strich ihr über den Rücken und das nasse Haar, bis sie sich beruhigte. Dann begann sie aufgrund der Kälte zu zittern.
Er brachte sie in seine Unterkunft, die sich in der Altstadt befand und in der es eine Badewanne gab. Dort wusch er Odile mit warmem Wasser, bis sie zu zittern aufhörte, und
anschließend wärmten sich ihre Körper im Bett.
Im letzten Studienjahr gewannen Tom, Odile, Bruno und Charlie viele Auszeichnungen. Odile und Bruno wurden mit Sportpreisen dafür belohnt, dass sie dabei mitgeholfen hatten, die Ski-Mannschaft innerhalb von nur drei Jahren auf
Weltniveau zu bringen. Charlie Day bekam eine Auszeichnung für sein unabhängiges technisches Projekt und Tom belegte dicht hinter ihm den zweiten Platz. Tom und Charlie
wetteiferten um einen der sehr begehrten Plätze in der Grissom-Fluggruppe – für Piloten gab es kein höheres Ziel.
Auch Odile und Bruno zeigten außerordentlich gute
Leistungen als Piloten. Auf diese Weise verbrachten die vier Freunde das letzte Jahr: Sie arbeiteten hart, übertrafen sich gegenseitig, genossen das Leben und die Kameradschaft einer tiefen, reifen Freundschaft.
In ihrer Freizeit liefen sie am liebsten auf anderen Welten Ski. Charlie, der noch immer nicht an Wettkämpfen teilnahm, zog das Tiefschneefahren vor, und sie machten sich einen Spaß daraus, den frischesten und makellosesten Schnee auf den obskursten Planeten zu finden. Die Akademie hätte von solchen Aktivitäten außerhalb des Studiums nicht viel gehalten, aber die Ausbildungsoffiziere verzichteten darauf, die Freizeitaktivitäten von vier der besten Studenten genau zu untersuchen.
Jeder von ihnen schmiedete Pläne für eine Zukunft, die alles zu ermöglichen schien. An einem frischen, heiteren Tag im Frühling, an dem selbst in San Francisco die Sonne schien, fanden sich die vier in Toms und Charlies Quartier ein, aßen Äpfel und nahmen den Studienabschluss vorweg.
»Ich schätze, ich bleibe noch eine Weile auf der Schulbank«, sagte Bruno. »Ich habe vor, noch drei weitere Jahre zu studieren und dann einen Abschluss in Astrophysik zu
bekommen. Gleichzeitig setze ich die Pilotenausbildung fort und qualifiziere mich für Forschungsmissionen in unbekannten Raumgebieten.«
»Ich hoffe, sofort einen Posten an Bord eines Raumschiffs zu bekommen«, sagte Odile. »Ob groß oder klein, das ist mir völlig gleich. Ich möchte nur ins All und fliegen.«
Kummer entstand in Tom. In einigen Monaten würden ihre Wege in verschiedene Richtungen führen und er wusste nicht recht, wie er damit fertig werden sollte. Ihnen allen war klar, dass ihre beruflichen Laufbahnen sie zumindest eine Zeit lang voneinander trennen würden, und sie hatten entschieden, zunächst dem eigenen Vorankommen Priorität zu geben. In einigen Jahren wollten sie sich wieder treffen, um die Situation neu zu bewerten. Tom glaubte, dass Odile mit dieser
Vereinbarung besser zurechtkam als er, und das bereitete ihm vages Unbehagen.
»Tommy und ich haben es auf den gleichen Posten
abgesehen«, sagte Charlie und lächelte. »Möge der Bessere von uns gewinnen.«
»Worum geht’s?«, fragte Bruno neugierig und nagte einen Apfel bis zum Kern ab.
»Um die Enterprise«, antwortete Charlie und sah kurz zu Tom, der lächelte.
»Die Enterprise? Ihr glaubt, das Flaggschiff nimmt einen Fähnrich direkt von der Akademie auf?«
»Es hat gelegentlich einen in die Crew aufgenommen«,
erklärte Tom. »Aber nie zwei.«
»Tom ist besser qualifiziert als ich und deshalb hoffe ich, dass sich sein Familienname als Nachteil für ihn erweist«, sagte Charlie freundlich. »Starfleet möchte sich bestimmt keine Vetternwirtschaft vorwerfen lassen.«
Tom gab Charlie einen freundschaftlichen Klaps, musste ihm aber Recht geben. Es durfte auf keinen Fall der Verdacht aufkommen, dass er allein deshalb einen Posten an Bord der Enterprise bekam, weil er einen berühmten Nachnamen hatte.
Seine Leistungen mussten so außerordentlich sein, dass er damit das Hindernis des Namens überwinden konnte.
Charlie
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