Schicksalspfade
er seine ganze berufliche Laufbahn damit vergeuden, nichts Aufregenderem
nachzujagen als irgendeiner interstellaren Gaswolke.
Er gab sich einer Phantasievorstellung hin, um den nach wie vor in ihm siedenden Zorn zu kanalisieren und die Übung interessanter zu gestalten. Er führte kein Routinemanöver durch, bei dem es um einen Asteroiden ging. Stattdessen griff er ein cardassianisches Kriegsschiff an, das ihn und auch die anderen Einheiten seiner Gruppe vernichten konnte. Sie hatten nur eine Chance, den Gegner zu besiegen, eine einzige, und deshalb musste das Manöver mit perfektem Timing
durchgeführt werden.
Tom spürte, wie sich sein Selbst ganz auf diese Aufgabe konzentrierte, und zum ersten Mal seit Tagen gewann er den Eindruck, das eigene Schicksal zu kontrollieren. Vor ihm wartete ein cardassianisches Kriegsschiff, dazu bereit, ihn zu vernichten. Er blickte nach links und sah Charlies Schiff, hinter und unter seinem eigenen, bereit dazu, ihm zu folgen.
»Also los«, teilte er den anderen über die externe
Kommunikation mit und neigte den Bug seines Schiffes dem Asteroiden/Feind entgegen.
Vor dem inneren Auge beobachtete er, wie der
cardassianische Raumer das Feuer eröffnete, die Schilde seines Schiffes traf und auch weiterhin feuerte. Er hielt den Bug gesenkt, schätzte die Geschwindigkeit des Ziels und den Anflugwinkel ab, damit der eine Schuss möglichst effektiv platziert wurde. Er wollte die Warpgondel treffen – dieses cardassianische Schiff sollte nie wieder die Grenzen der Föderation angreifen.
Im Sturzflug ging es hinab und die ganze Zeit über behielt er das Warpmodul im Auge. Er wartete bis zum letzten
Augenblick, damit sein Schuss so genau wie möglich war und maximalen Schaden anrichtete. Warte… warte… warte…
Jetzt! Tom aktivierte die Phaser und zog sein Schiff hoch. Im gleichen Augenblick begriff er, dass er sein Geschwader zu weit nach unten gebracht hatte. Er war zu sehr auf seine Phantasievorstellung fixiert gewesen, darauf, einen
vermeintlichen cardassianischen Raumer anzugreifen. Dadurch hatte er den Anflug zu lange fortgesetzt. Es gelang ihm gerade noch, eine Kollision mit dem Asteroiden zu vermeiden.
Der ihm folgende Charlie hatte keine Chance. Er musste sich nach Tom richten, ihm das Timing überlassen. Und jene kostbare Sekunde, die Tom vor einer Kollision bewahrte, stand Charlie nicht zur Verfügung.
Das galt auch für Odile, die hinter Charlie auf den Asteroiden hinabstürzte. Bruno wäre als Letzter vielleicht imstande gewesen, rechtzeitig abzudrehen, aber er geriet in die heftigen Antimaterie-Explosionen der beiden anderen Schiffe. Die energetischen Druckwellen schleuderten sein Schiff fort und schließlich explodierte es ebenfalls.
Entsetzt kehrte Tom zu dem Asteroiden zurück. »Paris an SAW-Gruppe… Charlie… Odile… Bruno…«
Er bekam keine Antwort und eigentlich hatte er auch nicht mit einer gerechnet. Glühende Trümmer schwebten über der Oberfläche des Asteroiden, keins von ihnen größer als einen Meter. Von Toms Freunden fehlte jede Spur – das nukleare Feuer der Materie-Antimaterie-Annihilation hatte sie innerhalb eines Sekundenbruchteils verbrannt.
Schreckliche Stille herrschte, als Tom die dahintreibenden Reste der SAW-Schiffe beobachtete. Sie verteil ten sich bereits im All, wurden eins mit dem Asteroidengürtel, der zum Grab seiner Freunde geworden war. Übelkeit stieg in ihm empor und einige Sekunden lang befürchtete er, sich übergeben zu müssen. Er atmete mehrmals tief durch, brachte sich wieder unter Kontrolle.
Tom fragte sich, was die letzten Gedanken von Charlie, Odile und Bruno gewesen sein mochten. Hatten sie sich von Tom verraten gefühlt? Waren sie mit Hass im Herzen gestorben?
Diese Fragen zerfraßen Tom innerlich, während er zur Erde zurückflog. Er schlief nicht, konnte nicht schlafen, aß auch nicht. Wie erstarrt saß er an den Kontrollen, stellte sich immer wieder die letzten Momente von Charlie, Odile und Bruno vor.
Er dachte an alle möglichen Gefühle, an Panik und Grauen angesichts der Erkenntnis, dass der Tod unmittelbar
bevorstand, an den Zorn auf Tom Paris, der die Schuld trug.
Als er die Erde erreichte, fühlte er sich innerlich tot. Er wirkte ausgemergelt und hohlwangig, empfand nichts, war überhaupt nicht mehr imstande, irgendetwas zu empfinden. Er glaubte, nie wieder schlafen zu können, und das erschien ihm durchaus richtig. Toms Zustand ließ sich am besten mit wacher Hibernation beschreiben; sein
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