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Schicksalspfade

Schicksalspfade

Titel: Schicksalspfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Taylor
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zu sitzen. Die Alternative bestand aus dem Undenkbaren: Sollte sie den Ältesten herausfordern?
    Sie traf eine Entscheidung.
    »Wo sind die Schriften?«, fragte Kes. Sie stand breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt. »Sie gehören uns allen und ich verlange Zugang zu ihnen.«
    Toscats Gesicht verfärbte sich purpurn und seine Wangen zitterten. Er öffnete den Mund und sprach laut. »Deine Eltern werden von dieser Unverschämtheit erfahren, das versichere ich dir. Marlath!« Sofort öffnete sich die Tür und der Sekretär kam herein. »Begleiten Sie diese junge Dame nach Hause und kündigen Sie den Eltern einen Besuch von mir an.«
    Marlath nickte überrascht und hielt die Tür für Kes auf. Sie wandte sich noch einmal an den Ältesten und sagte ruhig: »Ich habe Sie dazu gebracht, laut zu sprechen, Toscat. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht gibt es noch Hoffnung für Ihren trägen Geist.«
    Dann ging sie mit hoch erhobenem Kopf an ihm vorbei und versuchte, möglichst würdevoll zu wirken, als sie das Büro verließ.
    Zu Hause legte sie sofort die schlichte Kleidung ab, löste das Haar und badete in duftendem Wasser. Sie schien die
    Erinnerungen an ihre Begegnung mit Toscat fortwaschen zu müssen. Sie blieb ziemlich lange in der Wanne, wusch alle Teile ihres Körpers und spülte immer wieder das Haar. Doch als sie sich abtrocknete und frische Kleidung anzog, glaubte sie, noch immer die Hand des Ältesten auf dem Kopf zu spüren.
    Bei den Sachen ihres Vaters fand sie eine scharfe Klinge und begann damit, ihr Haar abzuschneiden, bis es ganz kurz und struppig war. Sie fühlte sich erst von Toscat gereinigt, als der größte Teil ihrer Locken auf dem Boden lag. Mit großer Sorgfalt sammelte sie das abgeschnittene Haar ein und begab sich damit in einen Tunnel am Rand der Stadt.
    Dort legte sie es in eine runde Mulde in einem Stein und zündete es an. Sie empfand es als seltsam tröstend zu beobachten, wie sich die Rauchfäden in der kühlen Luft auflösten – Toscat schien sich mit ihnen im Nichts zu verlieren.
    An jenem Abend saß sie bei ihren Eltern am Tisch. Martis und Benaren schienen nicht entscheiden zu können, was sie mehr schockierte: ihr ungebührliches Verhalten dem Ältesten gegenüber oder das abgeschnittene Haar. Kes’ Vater rang ganz offensichtlich mit Empörung, Scham und Anteilnahme.
    »Ich habe dich doch gelehrt, wie man sein Ziel erreicht«, sagte Benaren und gab sich alle Mühe, das seltsame Gebaren seiner Tochter zu verstehen. Kes war ihren Eltern dankbar dafür, dass sie nicht aus lauter Bequemlichkeit telepathisch mit ihr kommunizierten. »Wenn man anderen Leuten mit
    Höflichkeit und Vernunft begegnet, wenn man ihnen Respekt entgegenbringt… Dann kann man eher damit rechnen, das zu bekommen, was man will.«
    »Ich habe es versucht. Er war stur und unerträglich.«
    »Und du hast dich sofort auf sein Niveau hinab begeben.«
    Kes senkte den Blick. Sie musste ihrem Vater Recht geben –
    sie hatte tatsächlich die Kontrolle über sich verloren. »Ja, das stimmt. Aber ich glaube, das Gespräch hätte in jedem Fall ein solches Ende genommen, selbst wenn ich imstande gewesen wäre, mich zu beherrschen. Er wollte mir keine Auskunft über die alten Aufzeichnungen geben.«
    »Dazu ist er nicht verpflichtet«, warf ihre Mutter ein. »In einer Gesellschaft gibt es Regeln. Bei uns entscheiden die Ältesten über diese Regeln und einem Kind steht es nicht zu, sie in Frage zu stellen.«
    Kes hob ruckartig den Kopf und sah zu ihrer Mutter. »Warum nicht? Warum hat nicht jeder das Recht, Autorität in Frage zu stellen, auch ein Kind? Wenn die Autorität gerechtfertigt ist, so sollte sie jeder Prüfung standhalten.«
    Sie beobachtete, wie ihre Eltern einen Blick wechselten, konnte aber nicht feststellen, was er zum Ausdruck brachte.
    Sie glaubte, einen Hauch von Stolz zu erkennen.
    »Was hat dich veranlasst, dein Haar abzuschneiden?«, fragte Benaren. »Hat es etwas mit Toscat zu tun?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte Kes und das stimmte zu diesem Zeitpunkt. Der Umstand, dass der Älteste ihr Haar berührt hatte, schien kaum Grund genug zu sein, es
    abzuschneiden, obgleich sie zunächst davon überzeugt
    gewesen war. »Ich glaube, ich wollte einfach anders sein.«
    Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ein Lächeln auf den
    Lippen ihrer Mutter erschien und sofort wieder verschwand.
    »Es wächst nach«, sagte Martis philosophisch und das
    beendete die Diskussion über Kes’

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