Schicksalspfade
die Öffnung, durch die sie an die Oberfläche
geklettert war, die beiseite gestoßenen Steine. Ein so starker Instinkt, dass er fast einer mentalen Stimme gleichkam, verlangte von ihr, das Loch zu verbergen und auch ihre Spuren im Sand zu verwischen. Sie wusste genau, wo sich die
betreffende Stelle befand, aber jemand anders konnte sie nicht finden – aus irgendeinem Grund hielt Kes das für wichtig.
Anschließend wandte sie sich wieder dem grandiosen
Panorama zu.
Zwar war es heiß, sogar sehr heiß, aber Kes erschauerte plötzlich, als sie begriff: Sie hatte es tatsächlich geschafft. Es war ihr gelungen, Angst und Ignoranz zu überwinden und das zu bewerkstelligen, was alle anderen Ocampa fürchteten: Sie hatte die Sicherheit der subplanetaren Stadt verlassen und war ins Unbekannte vorgestoßen.
Und jetzt? Wenn es auf der Oberfläche des Planeten
niemanden mehr gab – wie sollte sie sich dann Nahrung und Wasser beschaffen? Von der mitgenommenen Verpflegung
war kaum mehr etwas übrig und ganz offensichtlich hatte sich die Welt nicht von der Erwärmung erholt. Wohin sie auch blickte: Die rote Wüste erstreckte sich in alle Richtungen und die einzige Vegetation bestand aus ein wenig Gestrüpp.
Wenn sie zur Stadt zurückkehrte und von dem berichtete, was sie gesehen hatte – welches Resultat würde sich daraus ergeben? Bestimmt war niemand bereit, ein kühles und
sicheres Heim zu verlassen, in dem es genug Wasser und Energie gab, um sich in einer heißen Wüste niederzulassen.
Was also hatte Kes erreicht?
Ich habe die Sonne gesehen, dachte sie. Allein das rechtfertigte ihre Anstrengungen und dieses Erlebnis konnte ihr niemand mehr nehmen. Vielleicht sollte sie sich jetzt auf den Rückweg machen, um diese Erfahrung mit ihrer Mutter und der Farmgruppe zu teilen, um zu versuchen, die Ocampa von ihrer Lethargie zu befreien, sie aktiver und unabhängiger werden zu lassen, so wie damals, bevor der Beschützer ihnen alle Mühen abnahm.
Kes begriff plötzlich, dass sie sich ein ganzes Stück von der kleinen Tunnelöffnung zwischen einigen Felsen entfernt hatte.
Sie wusste nicht mehr genau, wo sich das Loch befand, hielt danach Ausschau, als sie das Pochen hörte.
Es war ein anderes Pochen als jenes, das die Energieblitze verursachten. Es kam einer dumpfen Vibration gleich, die Kes eher fühlte als hörte. Sie legte sich hin und hielt ein Ohr an den roten Boden, hörte das Geräusch dadurch deutlicher: ein Trommeln, wie es Kes noch nie vernommen hatte. Sie stand wieder auf, blickte über die Wüste und suchte nach der Ursache des seltsamen Geräuschs.
Sie bemerkte zwei Gestalten, die sich ihr schnell näherten –
schneller als jemand laufen konnte. Mit erhobener Hand schirmte sie sich die Augen ab und versuchte, die Fremden zu erkennen. Als sie sich näherten, stellte sie fest, dass es eigentlich vier Gestalten waren: Zwei Tiere liefen mit vier Beinen und trugen zwei Männer auf ihrem Rücken. Die Tiere hatten ein langes Fell und sie erschienen Kes wunderschön.
Fasziniert beobachtete sie die Geschöpfe, die genau auf sie zuhielten.
Die beiden Männer auf den Tieren waren sehr groß und
trugen sonderbaren Schmuck in ihrem zerzausten,
ungekämmten Haar. Dadurch wirkten sie sehr grimmig und gefährlich. Kes schauderte unwillkürlich.
Waren es Kazon?
Die Tiere liefen direkt auf sie zu und Kes stand vor Furcht wie gelähmt. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen, sah darin auch gar keinen Sinn, denn sie konnte sich nirgends
verstecken. Dann, auf den Befehl der Reiter hin, hielten die Tiere plötzlich an. Schnaubend standen sie da, scharrten mit den Hufen und schienen es kaum abwarten zu können, erneut loszulaufen.
Kes sah zu den beiden Reitern auf. Ihre Gesichter konnte sie nicht erkennen, denn die Sonne stand hinter ihnen. Eine tiefe, knurrende Stimme erklang.
»Wen haben wir denn da?«, fragte einer der beiden Fremden.
»Ein kleiner Maulwurf ist ans Licht gekrochen?«
»Vielleicht sollten wir ihn einfach zertreten und den Insekten überlassen.« Beide Männer lachten, als gäbe es nichts Lustigeres auf der ganzen Welt.
»Wer seid ihr? Woher kommt ihr?« Kes versuchte, ihre
Stimme fest und entschlossen klingen zu lassen, aber bestürzt hörte sie ein Zittern darin. Die beiden Männer schienen entzückt zu sein, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte.
»Hör nur! Der Maulwurf spricht! Vielleicht sollten wir ihn am Leben lassen…« Einer der Männer sprang von seinem
Reittier herunter und musterte
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