Schicksalspfade
seine mentalen Techniken an, um sie zu unterdrücken. Ein anderes Gefühl war weniger lästig und erschien ihm auch weniger verräterisch: Neugier, ums Tausendfache verstärkt. Er gestattete es diesem Empfinden, sich einige Sekunden lang in ihm zu entfalten, um herauszufinden, ob er ihm nachgeben durfte oder ob er es ebenfalls aus sich verbannen musste. Schließlich entschied er sich für die erste Möglichkeit.
»Ich würde sehr gern mit dir über deine Erfahrungen im Tempel von Amonak sprechen«, sagte Tuvok. »Es wäre
interessant, von deinem Studium bei M’Fau zu hören.«
Er bemerkte kaum die freudige Überraschung in Scotts
Gesicht, schenkte ihm auch nicht mehr als beiläufige
Beachtung, als er sich verabschiedete und forteilte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Frau mit den perlgrauen Augen und dem ernsten Gebaren, die so… vulkanisch wirkte.
Während seines letzten Jahrs an der Starfleet-Akademie verbrachte Tuvok außerordentlich viel Zeit mit Sophie Timmins. Sie sprachen über M’Faus Unterricht, meditierten gemeinsam und erörterten die profunden Bedeutungen des Cthia. Er stellte fest, dass Sophies Faszination in Hinsicht auf vulkanische Traditionen nicht nur intellektueller Neugier entsprang. In der Tiefe ihres Wesens wünschte sie sich offenbar, Vulkanierin zu sein. Hingebungsvoll befasste sie sich mit der vulkanischen Geschichte und Suraks Schriften.
Sie war der erste echte Freund, den Tuvok bei den Menschen fand – aber nur deshalb, weil sie sich bemühte, ihr
menschliches Wesen zugunsten der vulkanischen Kultur
aufzugeben.
Aber schließlich wollte auch sie mehr. Sophie war nicht imstande, sich ganz von den menschlichen Bedürfnissen zu lösen und über die Leidenschaft hinauszuwachsen, die in allen Terranern zu stecken schien. Sie wünschte sich eine physische Intimität, die Tuvok nicht verstand und ihr daher auch nicht geben konnte.
Das Ende kam an einem Abend im Juni, als es in San
Francisco ungewöhnlich warm war. Tuvok und Sophie saßen in einem Pavillon im Park der Akademie, umgeben von
Eukalyptusbäumen. Sie sprachen über die Lehrsätze des Kolinahr, der strengsten aller vulkanischen Mentaldisziplinen, als Tuvok plötzlich hörte, wie Sophies Stimme brach. Er drehte den Kopf und sah, wie ihr Tränen über die Wangen rannen.
Dieses Phänomen hatte er schon bei anderen Menschen
beobachtet, vor allem bei Frauen – obwohl auch Männer manchmal ein solches Übermaß an Emotion zeigten. Er
erinnerte sich an einen Stabhochspringer, der im
Umkleideraum schluchzte, weil er es dreimal hintereinander nicht geschafft hatte, die eigentlich recht geringe Höhe von sechseinhalb Metern zu überspringen. Es war eine
beunruhigende Erfahrung für Tuvok.
Als nun Feuchtigkeit aus Sophies Augen trat, fühlte sich Tuvok erneut von Unbehagen erfasst. Tränen waren Zeichen einer Traurigkeit, die man nicht länger ignorieren konnte, eines Schmerzes, der unerträglich wurde.
Tuvok war denkbar schlecht gerüstet, um mit solchen
Situationen fertig zu werden. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.
Er wartete einfach und hoffte, dass der kritische Augenblick vorüberging. Sophie versuchte ganz offensichtlich, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. Aber immer dann, wenn Tuvok glaubte, dass sich ein Erfolg abzeichnete, schnappte sie nach Luft und vergoss neue Tränen.
Er hatte gesehen, wie manche Menschen auf einen weinenden Artgenossen reagierten. Als der Stabhochspringer im
Umkleideraum geschluchzt hatte, waren andere Menschen gekommen, um ihm auf den Rücken zu klopfen und tröstende Worte an ihn zu richten. Der Trainer hatte neben dem Kadetten Platz genommen und ihm einen Arm um die Schultern gelegt.
Als sich der Springer schließlich beruhigte – zu Tuvoks großer Erleichterung –, trat ein Mannschaftskamerad an ihn heran und umarmte ihn, eine häufige Geste des Beistands.
Sollte er eine solche Verhaltensweise bei Sophie
ausprobieren? Ein beruhigendes Flüstern ins Ohr kam nicht in Frage, denn er wusste nicht, welche Worte es zu formulieren galt. Aber wenn er ihr über den Arm strich oder ihr auf den Rücken klopfte… Wäre ein solches Gebaren der Situation angemessen gewesen?
Er dachte darüber nach, schätzte die positiven und negativen Aspekte ein. Wenn eine solche Intervention seinerseits bewirkte, dass Sophies übertriebene Emotionalität aufhörte, so gab es nichts dagegen einzuwenden. Aber vielleicht fühlte sie sich von einer solchen Reaktion in ihrem derzeitigen
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