Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schicksalspfade

Schicksalspfade

Titel: Schicksalspfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Taylor
Vom Netzwerk:
über eine Unterkunft. Am nächsten Tag wollten sie nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau halten.
    Chakotay wandte sich an Kim. »Heute Abend sind Sie der Geschichtenerzähler, Harry. Berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen mit Nimembeh.«
    »Wie Sie gestern Abend sagten, Commander – die Sache
    geht tiefer. Eigentlich betrifft sie… mein ganzes Leben.«
    »Ich habe Ihnen meins geschildert. Jetzt würden wir gern von Ihrem hören.«
    Harry sah kurz zu Coris. Aus irgendeinem Grund erfüllte es ihn mit Unbehagen, die Geschichte seines Lebens zu erzählen, während sie zuhörte. Sie lag auf dem Boden, den Kopf auf die Arme gestützt, wirkte ruhiger und zufriedener als am
    Nachmittag. In der angenehmen Wärme des nahen Feuers
    sanken ihre Lider herab – sie schlief ein.
    Erleichtert wandte sich Harry den anderen zu, die gespannt warteten. An diesem feindseligen Ort, so begriff er, bot selbst die wenig bemerkenswerte Geschichte von Harry Kims Leben eine willkommene Abwechslung. Er wollte versuchen, sie so interessant wie möglich zu gestalten.
    4
    Die ersten Erinnerungen hatten mit Musik zu tun. Das
    Klimpern des P’i P’a und die gefühlvolle Stimme seiner Mutter wehten durch die Streifen aus Sonnenlicht, die mit sanftem Goldgelb durch den Raum reichten.
    Er stand im Kinderbett, die Arme ausgestreckt in dem
    Versuch, die im Sonnenschein schwebenden Stäubchen zu erreichen, während ihm der beruhigende Gesang seiner Mutter an die Ohren drang.
    Die verlockenden Stäubchen schwebten gerade außerhalb seiner Reichweite. Es war ein Problem, das eine Lösung erforderte – auch wenn der fünfzehn Monate alte Harry Kim noch nicht in diesen Begriffen dachte. Nach den glitzernden Stäubchen verlangte es ihn ebenso wie nach Nahrung. Es handelte sich um ein namenloses Bedürfnis, das ihn aktiv werden ließ. Seine Hände schlossen sich um die obere Stange des Kinderbetts, und er drückte ganz fest zu, als wollte er seine Kraft prüfen.
    Hinaus. Er wollte hinaus. Das Gitter des Kinderbetts stellte ein Hindernis dar, das es zu überwinden galt. Nicht der Geist fand eine Antwort, sondern der kleine Körper, als die Zehen an den Stäben Halt fanden. Er zog sich höher, immer höher…
    Der Instinkt teilte ihm mit, dass er fallen würde, mit dem Kopf voran auf den Boden. Er hielt die Hände ganz fest um die obere Stange geschlossen, schob seinen Körper darüber hinweg und veränderte den Griff dann so, dass die Finger nicht mehr zum Raum zeigten, sondern zum Innern des Kinderbetts.
    Der Rest war einfach. Die Zehen tasteten sich an der
    Außenseite des Gitters hinab, und als sie nicht mehr weiter nach unten gelangen konnten, löste er jeweils eine Hand von der oberen Stange und hielt sich an den Stäben fest, während er nach unten kletterte.
    Schließlich stand er auf dem Boden und juchzte vergnügt.
    Dies machte Spaß! Er blickte am Kinderbett hoch und fragte sich, ob er zurückkehren sollte, um noch einmal in die Freiheit zu klettern. Doch ihm wurde schnell klar, dass die Rückkehr mit weitaus größeren Schwierigkeiten verbunden war. Die Idee verschwand aus dem kindlichen Bewusstsein und der kleine Harry Kim wandte sich wieder den Dingen zu, die sein
    Interesse geweckt hatten, den Stäubchen im Sonnenschein. Die ganze Zeit über sang seine Mutter, begleitet von den
    betörenden Klängen des alten Musikinstruments.
    Unbeholfen watschelte er über den Boden – er war erst seit kurzer Zeit imstande, aufrecht zu gehen – und streckte die Hand nach dem ersten Lichtstreifen aus, dem er begegnete. Er schloss die Finger um die Stäubchen und zog die Hand zu sich heran, aber als er sie öffnete, enthielt sie nichts.
    Das war ein Rätsel. Aus Erfahrung wusste er, dass sich viele neue Aufgaben nur mit mehreren Versuchen bewältigen ließen.
    Das hatte für seine erste Methode der Fortbewegung gegolten, auf Händen und Knien, und es war auch der Fall gewesen, als er lernte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dadurch kam man viel schneller voran und außerdem hatte man die Hände frei, um nach Dingen zu greifen.
    Doch es erwies sich als sehr schwierig, die Stäubchen einzufangen. Ganz gleich, wie oft sich seine Finger um sie schlossen: Wenn er die Hand öffnete, waren sie immer
    verschwunden. Das breitete ihm keinen Kummer – während seiner ganzen Kindheit erlebte Harry nicht einen einzigen Moment des Kummers –, veranlasste ihn vielmehr dazu, seine Bemühungen zu verdoppeln.
    Er war so sehr auf diese spezielle Aufgabe konzentriert,

Weitere Kostenlose Bücher