Schicksalspfade
versorgt und sein Wasservorrat ging zur Neige. Er wanderte jetzt nicht mehr im Schatten hoher Kiefern und die Oktobersonne erwies sich als sehr warm. Harry wusste, dass er immer mehr an Dehydration litt. Seine Benommenheit wuchs und es fiel ihm immer schwerer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Ganz mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen und wankte über den weiten Hang, in Richtung Basis.
Als die Sonne unterging und es dunkel zu werden begann, begriff er zu spät, dass er es versäumt hatte, nach Nahrung zu suchen. Nachts würde es ihm doppelt schwer fallen, etwas Essbares zu finden. Und was war mit Wasser? Wie hatte er so wesentliche Dinge vergessen können? Panik regte sich in ihm und er versuchte sie zu verdrängen. Es kam jetzt darauf an, ruhig zu bleiben und klar zu denken.
Plötzlich erwachte er, die Glieder vor Kälte steif. Wann war er eingeschlafen? Er lag auf dem Boden, ungeschützt, ohne irgendetwas, das ihm Wärme spendete, begleitet nur von Hunger. Er hörte ein Rascheln im Gebüsch, stand hastig auf und fürchtete den Angriff eines Tiers.
Der Mond war zu drei Vierteln voll und sein Licht genügte, um sich zu orientieren. Harry beschloss, sich wieder auf den Weg zu machen. Schlafen konnte er, wenn er die Basis
erreichte. Er trachtete danach, Hunger und Durst zu vergessen, so zu tun, als hätte er gerade einen Festschmaus hinter sich.
Diese Vorstellung verlieh ihm nur wenig neue Kraft, als er weiterwankte, in Richtung Nimembeh.
Nach einer Stunde konnte Harry nicht mehr. Er sank auf die Knie, als sich um ihn herum alles drehte. Der Gaumen war völlig trocken, Übelkeit schnürte ihm den Hals zu. Er sah zu den Pflanzen in seiner Nähe und versuchte, sich daran zu erinnern, ob irgendwelche von ihnen essbar waren. Aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren; immer wieder glitten seine Gedanken fort. Er erinnerte sich an ein wundervolles Fest, das seine Familie veranstaltet hatte, als er sechs gewesen war. Er entsann sich an lange Tische, beladen mit Speisen, Früchten aller Art und gebackenen Delikatessen. Eine
Spezialität enthielt Äpfel und andere Früchte. War es sein sechster Geburtstag gewesen? Nein, dann hätte es eine große Torte mit Kerzen gegeben, die er ausblasen musste…
Er wusste nicht, wie lange er auf dem Boden hockte und über Essen phantasierte. Er begriff nur, dass es so nicht weitergehen konnte. Er musste aufstehen und die Wanderung fortsetzen.
Mühevoll stemmte er sich hoch und machte einen Schritt, dann noch einen. Der Boden schien sehr weich zu sein und immer wieder nachzugeben, wodurch es nicht leicht fiel, das Gleichgewicht zu wahren. Er taumelte…
… und brach vor Nimembeh zusammen. Man hatte ihn in ein Gebäude der Basis gebeamt.
Harry fragte sich, ob es das gleiche Gebäude war, in das man seinen Vater und ihn transferiert hatte, vor nur fünf Jahren –
bei jener Gelegenheit war der brennende Wunsch in ihm entstanden, einmal zu Starfleet zu gehören.
Nimembeh stand breitbeinig vor ihm, die Hände in die
Hüften gestemmt. Harrys Blick wanderte an ihm empor und erreichte schließlich das dunkle Gesicht, das keinen
erkennbaren Ausdruck zeigte.
»Eins muss man Ihnen lassen, Kadett«, sagte Nimembeh.
»Sie haben es nicht geschafft, sich selbst umzubringen.«
Harry kam auf die Beine und jemand reichte ihm eine
Flasche Wasser. Er trank gierig, ohne darauf zu achten, dass ihm Tropfen übers Kinn rannen. Das Wasser war kühl und schmeckte so herrlich wie nichts zuvor in seinem Leben. Nur am Rande nahm er zur Kenntnis, dass man ihm einen Injektor an den Arm presste. Das Gerät entlud sich mit einem leisen Zischen.
»Konzentrierte Nährstoffe«, erklärte Nimembeh mit
steinerner Miene. »Sie leiden an den Folgen ungenügender Ernährung.«
Harry ließ die Schultern hängen. Er hatte in jeder Hinsicht versagt. Alle Mitglieder seiner Gruppe waren »gestorben« und ihn hatte man zurückgebeamt, weil er nicht imstande gewesen wäre, allein in der Wildnis zu überleben. Wieso war es zu einer solchen Katastrophe gekommen?
»Was habe ich falsch gemacht?«, fragte er Nimembeh offen.
»Den ersten Kadetten habe ich bereits Minuten nach unserer Ankunft verloren und an jedem Tag verschwand ein weiterer.
Aber wir alle dachten, wir hätten uns genau an die
Vorschriften gehalten.«
»Wenn Sie durch feindliches Territorium unterwegs gewesen wären, hätten Sie wohl kaum so lange durchgehalten. Genauso gut hätte ich eine Truppe von bunt gekleideten Akrobaten
Weitere Kostenlose Bücher