Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
ihnen.
»Grüß dich, Clara.« Willem war einen Schritt vorgetreten. »Ist der Stadtrat für uns zu sprechen?«
»Er ist in Trauer«, antwortete die Alte mit ausdrucksloser Miene. »Er will niemanden sehen.«
»Es tut mir leid, aber es ist notwendig. Ich habe vom Bürgermeister persönlich den Auftrag.«
Die Alte zögerte. Schließlich gab sie nach und ließ die drei Männer ein.
Selten hatte Simon ein so finsteres Haus betreten. Der Tod schien in jeder Ecke zu wohnen. Die Fensterläden waren vermutlich seit dem Heimgang der Hausherrin nicht mehr geöffnet worden. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft. Der Geruch des Todes.
Die alte Clara ging voraus und führte sie in eine kleine Schlafkammer, in der die Tote noch immer in ihrem Bett aufgebahrt war. Simon wunderte sich, dass der Stadtrat seine Frau nicht in die Kirche hatte überführen lassen, wie es sich gehörte.
Claas schien das Eintreten seiner Besucher kaum zu bemerken. Er kniete neben dem Bett der Toten, hatte das Gesicht an ihre kalte Brust geschmiegt.
»Herr Stadtrat«, sagte Clara leise, »Hauptmann Willem ist da.«
Claas rührte sich nicht. Willem fasste ihn sacht an der Schulter. »Mein herzliches Beileid, Herr Stadtrat. Bitte verzeiht, dass ich Euch in der Zeit Eurer Trauer stören muss, aber der Bürgermeister schickt mich.«
Langsam hob Claas den Kopf und sah den Hauptmann an. Ein fiebriger Blick, leer, ausdruckslos und doch voller Verzweiflung. Ohne dass Simon es verhindern konnte, schlich sich Mitleid in sein Herz.
»Was wollt Ihr?«, flüsterte Claas.
Willem räusperte sich. »Ich habe leider die unangenehme Pflicht, Euch einige Fragen zu stellen, denn Seyfried hat schwere Beschuldigungen gegen Euch erhoben.«
»Beschuldigungen gegen mich? Seyfried?« Für einen Moment kehrte das Leben in die Augen des Stadtrats zurück. Schneller, als Simon erwartet hatte, erhob sich Claas.
»Was hat dieser Trunkenbold für Geschichten verbreitet?«
Willem fuhr sich mit der Rechten durchs Haar. Bevor er antworten konnte, war Claas’ Blick auf Simon gefallen.
»Erik?«, stutzte er. »Hat es etwas mit Euch zu tun?«
»Mein Name ist Simon von Wickede«, entgegnete dieser, obwohl Claas das sicherlich längst wusste.
»Ihr habt Euer Gedächtnis wiedergefunden?«
»So ist es«, bestätigte Simon. »Und Seyfried behauptet, Ihr hättet schon viel länger gewusst, wer ich bin, es aber für Euch behalten.«
Claas zuckte kurz zusammen. »Warum hätte ich das tun sollen?«
»Seyfried behauptet, die Dänen hätten Euch viel Geld für meinen Tod geboten.«
»So ein Unsinn!« Der Stadtrat schnaubte verächtlich. »Hat Seyfried wieder zu tief in den Becher geschaut?«
»Würdet Ihr dazu eine Aussage machen?«, fragte Willem.
»Das ist nicht nötig, Seyfried lügt!«
»Kapitän Hinrich sagt, er habe gehört, dass Ihr von Seyfried erpresst wurdet. Kurz darauf hat Seyfried versucht, Hinrich niederzustechen. Und er sagt, Ihr hättet ihn gedungen«, warf Willem ein.
Claas lachte bitter auf. »Seyfried hat mich nicht erpresst. Vielleicht mag es sich so angehört haben, aber …« Er hielt kurz inne. »Wartet einen Moment, ich zeige Euch, worum es tatsächlich ging. Damit dürfte alles klar sein.« Claas ging an Willem und Simon vorbei, auch Kalle trat einen Schritt zurück, um Claas aus der dunklen Kammer mit der Toten hinauszulassen. Sie hörten, wie er über die Dielenbretter eilte. Dann klappte die Tür.
»Wo will er denn hin?« Kalle tauschte einen kurzen Blick mit Willem, der den Kopf schüttelte.
In diesem Augenblick begriff Simon.
»Verdammt, der haut ab!« Er rannte hinterher, riss die Tür auf und sah nur noch, wie Claas auf einem ungesattelten Pferd davongaloppierte.
»Der hat uns ja sauber reingelegt, der Dreckschieter!«, fluchte Kalle.
»Meine Leute werden ihn finden«, zischte Willem. »Ich setze sie sofort auf seine Fährte. Und dann stelle ich ihn zur Rede. Trauer hin oder her!«
»So wie Seyfried?« Kalle zog ein finsteres Gesicht, das keine Gnade kannte. »Nebenan war doch noch ’ne Zelle frei.«
Nur Simon schwieg.
»Ihr seid so still«, stellte Willem fest. »Was geht Euch durch den Kopf?«
»Was ist, wenn Eure Leute ihn nicht rechtzeitig fassen? Wenn er zu den Dänen flieht?«
»Die Dänen wollen uns ohnehin angreifen. Was macht es also aus?«
Simon verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja, am 24. Mai. Aber was ist, wenn sie wissen, dass wir gewarnt sind? Ihre Kriegsflotte könnte auch früher auslaufen.«
Willem
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