Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
er mich dazu gezwungen?«
Brida trat hinter ihn, legte ihm beide Hände auf die Schultern, den Blick auf den Toten gerichtet. Seine Augen standen immer noch offen, doch der Glanz war erloschen. Keine Wut mehr, kein Hass, aber auch keine Trauer.
»Er konnte nicht ohne sie leben«, flüsterte Brida, bevor sie neben Simon niederkniete und Claas mit sanfter Bewegung die Augen schloss. Jeder Zorn, jede Verständnislosigkeit waren gewichen. Er war immer ihr Freund gewesen, bis der Schmerz ihm die Seele geraubt hatte. Dieser Mann war nicht mehr jener Claas gewesen, den sie einst gekannt hatte. Nicht einmal seine fleischliche Hülle wies noch viel Ähnlichkeit mit dem stets gepflegten, freundlichen Mann auf.
Heilige Mutter Gottes, erbarme dich seiner, betete sie stumm. Nimm ihn an deine Hand und führe ihn zurück ins Licht, zurück zum Heil und zur Vergebung.
»Was ist hier geschehen?« Die Stimme von Pater Johannes riss Brida aus ihrer stummen Andacht. Simon erhob sich, Brida folgte ihm.
»Der Stadtrat Claas hat den Verstand verloren«, erklärte Simon mit belegter Stimme. »Er ist zurückgekehrt, um seine Frau wiederzubeleben, und hat versucht, mich zu töten. Ich hatte keine andere Wahl.«
Der Pater bekreuzigte sich und murmelte ein kurzes Gebet.
»Warum seid Ihr noch hier?«, fragte er dann.
Bevor Simon antworten konnte, hörten sie vom Hafen her gellende Schreie.
»Johanna!«, schrie Brida. Sie wollte losstürzen, doch Simon hielt sie fest.
»Bleib hinter mir!« Er zog sein langes Messer.
»Ist das Mädchen etwa noch hier?«, rief der Pater.
Brida nickte. Simon stürmte vorwärts, hastete den Kirchberg hinab. Sie hatte ihre liebe Not, ihm zu folgen. Der Pater indes erwies sich als flinker Läufer. Mühelos holte er Simon ein, blieb an seiner Seite, bis sie zum Hafen gelangten.
Die Schreie wurden schriller. Brida brauchte einen Moment, um zu erfassen, was dort geschah. Drei Männer hatten Johanna gepackt und versuchten, ihr Gewalt anzutun. Dänische Söldner! Daneben lagen zwei grässlich verstümmelte Leichen. Afra und Siewert! O Gott, Afra! Ob sie noch gelebt hatte, als ihr Körper so zugerichtet worden war? Und Johanna hatte alles mit ansehen müssen!
Simon stürzte sich mit einem Wutschrei auf die drei Dänen. Den ersten riss er sofort zurück, rammte ihm das Messer in den Nacken. Der Mann sank in sich zusammen wie ein nasser Sack. Die beiden anderen ließen von Johanna ab, die sich hastig aufrappelte und zu Brida hinüberrannte. Sie nahm das Mädchen in die Arme, doch sie konnte den Blick nicht von Simon lassen. Sie hatte immer gewusst, dass er kämpfen konnte. Dass er besser war als die meisten anderen. Aber der Anblick der Toten und des hilflosen Mädchens hatte eine Kraft in ihm entfesselt, die Brida erschreckte und zugleich in Bann zog. Die Söldner waren von seiner ungezähmten Wut überrascht. Aus einer Parade heraus hieb Simon einem in den Schwertarm, so heftig, dass der Knochen knackte. Der Mann brach schreiend in die Knie. Johanna krallte sich an Brida fest. Der blutige Arm des Verwundeten hing nur noch an Haut und Sehnen! Brida wurde übel. Hastig wandte sie die Augen ab. Sie hatte erwartet, dass Johanna ebenfalls wegschauen würde, doch das Mädchen hielt den Blick starr auf Simon gerichtet. Bei all ihrer Angst war tiefe Befriedigung zu erkennen.
Der letzte Söldner stürmte auf Simon zu, wollte ihm mit dem Schwert den Kopf spalten, doch Simon duckte sich und stieß von unten in den ungeschützten Hals des Gegners. Das Blut des Sterbenden hinterließ dunkle Flecken auf seinem Hemd. Schwer atmend schob Simon sein Messer zurück in die Scheide.
Pater Johannes trat neben ihn. »Niemals habe ich einen Mann so kämpfen sehen. Ihr seid ein Held.«
Simon wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Dann sah er sich um. »Warum ist hier niemand mehr, der die Lunten zündet?«
Johanna deutete in eine dunkle Ecke. Sie war unfähig, ein Wort hervorzubringen. Brida folgte der Hand des Mädchens mit ihrem Blick. Ein weiterer Toter. Er trug das Wappen der Stadtwache.
»Dann sind die Dänen anscheinend von zwei Seiten gelandet«, stieß Simon zwischen den Zähnen hervor. »Wir dürfen nicht länger zögern!« Er näherte sich dem Toten, hob die noch glimmende Fackel auf und entfachte sie aufs Neue.
»Geht in Deckung! Die erste Explosion wird für alle das Zeichen sein.«
Brida drückte Johanna fest an sich und zog sie mit sich fort. Das Mädchen zitterte am ganzen Leib. Der Pater
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