Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
der eine Decke und ein Strohsack lagen, einem kleinen Tisch unter dem vergitterten Oberlicht und zwei Schemeln.
»Warte draußen«, wies der Stadtrat den Wächter an. »Wir haben noch etwas zu besprechen.« Dann zog er sich einen der beiden Schemel heran, nahm Platz und wies Erik an, sich auf den anderen zu setzen.
»Ihr habt also Euer Gedächtnis verloren und könnt Euch nicht einmal an Euren Namen erinnern.«
»Bezweifelt Ihr dies?«, fragte Erik, obwohl er kein Misstrauen in der Stimme des Stadtrats wahrgenommen hatte.
»Hinrich glaubt Euch. Und Hinrich kann man nichts vormachen. Deshalb glaube ich Euch auch.«
»Dann ist Euch sicher klar, dass ich Euch nicht mehr werde sagen können, ganz gleich, wie lange Ihr mich hier festhaltet.«
»Darum geht es mir gar nicht. Hinrich hat mir das zerbrochene Siegel gezeigt. Die drei Kronen.«
»Und?«
»Ich habe mich ein wenig umgehört. Ihr habt Euch bei seinem Anblick an den Namen Erik erinnert. Ich glaube nicht, dass dies Euer Name ist.«
»So?«
»Ihr habt Euch an diesen Namen erinnert, weil es das Siegel König Eriks von Dänemark ist. Nicht das offizielle, sondern das für die persönliche Korrespondenz.«
»Und welche Schlüsse zieht Ihr daraus?«
»Nun, Euer Schiff muss irgendwo zwischen den dänischen Inseln und dem Fehmarnbelt gesunken sein. Ihr habt als Erstes Dänisch gesprochen, als Ihr wieder zu Euch kamt. Eure Kleidung mag gelitten haben, aber sie weist Euch noch immer als Mann aus wohlhabendem Haus aus. Ihr hattet Dokumente dabei, die das private Siegel des dänischen Königs tragen. Welchen Schluss zieht Ihr daraus?«
»Dass ich aus Dänemark komme«, entgegnete Erik.
»Dass Ihr Däne seid«, bestätigte Claas. »Und zwar Mitglied einer einflussreichen Familie.« Der Stadtrat atmete tief durch. »Wir haben zwei Möglichkeiten, Erik. Ihr könnt abwarten oder aber mich unterstützen, damit ich herausfinde, wer Ihr seid. Ich habe genügend Kontakte, die es mir erlauben, nach Eurer Herkunft zu forschen.«
»Brida erzählte mir, Eure Schwiegermutter sei Dänin.«
Claas nickte. »Sie war es, sie ist inzwischen verstorben. Also, erinnert Ihr Euch an etwas, das mir bei meinen Nachforschungen helfen könnte?«
»Mit welchem Ziel? Mich gegen Lösegeld freizulassen?«
»Es kommt darauf an, was ich herausfinde. Lösegeld oder Austausch, je nachdem.«
»Austausch gegen wen?«
»Seit der Schlacht am Sund sitzen einige hanseatische Würdenträger in dänischer Gefangenschaft. Nun, habt Ihr mir irgendetwas zu sagen?«
Eriks Gedanken rasten. Alles, was der Stadtrat sagte, klang vernünftig. Was hätte er davon gehabt, die wenigen Bruchstücke, die er kannte, für sich zu behalten? Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Seine Freiheit hatte er schon eingebüßt, es war nur noch eine Frage, wie lange die Gefangenschaft dauern würde. Wenn er sich entgegenkommend zeigte, konnte sich seine Lage nur verbessern.
»Ich habe nur wenige Erinnerungen«, sagte er leise. »Nur Bilder aus Träumen, keine Namen. Mein Großvater besitzt einen Hof in Vordingborg, und ich habe einen älteren Bruder, der Jannick heißt. Mehr weiß ich nicht.«
»Der Name Eures Großvaters oder der des Hofs?«
Erik schüttelte den Kopf.
»Um wie vieles ist Euer Bruder älter?«
»Etwa zehn Jahre.«
»Und er heißt Jannick?«
Erik nickte.
»Könnt Ihr Euch an weitere Einzelheiten erinnern?« Claas musterte ihn eindringlich. »Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein.«
»Mehr ist da nicht.«
»Gut, ich werde sehen, was ich herausfinde.« Der Stadtrat erhob sich und verließ die Zelle. Erik hörte, wie der Wächter den Schlüssel im Schloss umdrehte, dann war er allein.
5. Kapitel
E r hat ihn einfach einsperren lassen! Ihn und nicht den Seyfried! Kannst du dir das vorstellen, Vater?« Brida lief aufgebracht vor dem Kamin hin und her. »Und dabei hätte der ihn fast umgebracht! Die hatten schon den Strick bei der Hand. Wenn mir die Besatzung des Kraiers nicht geholfen hätte, dann wäre Erik jetzt tot.«
»Nu beruhig dich doch, Deern.« Ihr Vater war aus dem Lehnstuhl aufgestanden und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Du hast alles richtig gemacht, du hast ihn gerettet. Alles Weitere wird sich finden.«
»Aber es ist so verdammt ungerecht! Er hat doch überhaupt nichts getan. Er wurde angegriffen und hat sich nur gewehrt.«
»Die Welt ist ungerecht. Ich dachte, das wüsstest du schon, Brida.« Wie immer, wenn er sie bei ihrem Namen nannte, war seine Stimme ernst geworden.
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