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Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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seiner Zelle zu schaffen. Drei Schritte in der Breite, vier in der Länge. Das Gitter des Oberlichts war so hoch, dass er es nur mit ausgestreckten Armen erreichen konnte, wenn er sich auf einen der Schemel stellte. Er versuchte, die Gitterstäbe zu packen und sich daran hochzuziehen. Der Blick nach draußen war nicht sonderlich unterhaltsam. Unmittelbar vor dem Oberlicht ragte ein steinerner Pfosten mit einem Eisenring auf, an dem Pferde angebunden werden konnten. Dennoch gewöhnte er es sich an, sich mehrmals täglich dort hinaufzuziehen, immer darauf bedacht, dass die Wächter sein Treiben nicht bemerkten. Das war nicht sonderlich schwer, denn sie ließen sich nur zweimal am Tag blicken. Morgens, wenn der Eimer geleert wurde, und um die Mittagszeit, wenn sie ihm sein Essen brachten.
    Immerhin konnte er über die Verpflegung nicht klagen, aber das verdankte er nicht den Wächtern, sondern Brida, die ihm regelmäßig einen Korb mit nahrhaften Speisen schicken ließ. Das waren die einzigen Gelegenheiten, bei denen die Wächter das Wort an ihn richteten. Wenn sie ihm sagten, wer ihm die Lebensmittel geschickt hatte. Vermutlich hätten Brida und Marieke ihnen sonst die Hölle heiß gemacht.
    Irgendwann verlor er das Gefühl für die Zeit. Tage verstrichen im steten Einerlei. Jedes Mal, wenn er Schritte hörte, hoffte und fürchtete er zugleich, es könne der Stadtrat sein, der Neuigkeiten bringe. Aber es waren immer nur die Wächter.
    Ob man ihn vergessen hatte? Nein, dann hätte Brida ihm nicht regelmäßig Essen ins Gefängnis geschickt. Schade, dass sie es ihm nicht selbst bringen durfte. Oder wenigstens Marieke.
    Wenn er gerade nicht schlief oder sich am Oberlicht hochzog, um nach draußen zu schauen und seine Armmuskeln zu kräftigen, beobachtete er die Mäuse in seiner Zelle. Er wusste recht bald, wo sie ihre Verstecke hatten, und bewunderte ihre Geschicklichkeit, mit der sie an den rauen Wänden hinauf- und hinabkletterten. Er legte Brotkrumen vor den Mäuselöchern aus und wartete ab, bis sie kamen. Manche waren vorsichtig und ängstlich, andere vorwitzig genug, sich ganz in seine Nähe zu wagen. Oft saß er stundenlang still, ein Stückchen Brot in der ausgestreckten Hand. Tatsächlich schlich sich eins der Tiere immer weiter vor, bis es schließlich den Mut fand, die Vorderfüßchen auf seine Hand zu stellen, um sich dann blitzschnell die Brotkrume zu schnappen. Er lachte über sich selbst, weil es ihm ein seltenes Triumphgefühl verlieh, die Maus durch seine stundenlange Geduld anzulocken.
    Es blieb sein einziger Triumph in all der Düsternis, die ihn umfing.
    Er hatte gehofft, dass er sich mit der Zeit an weitere Einzelheiten erinnern werde, aber sein Gedächtnis blieb wie leer gefegt. Ob es daran lag, dass er tagein, tagaus nur die grauen Wände seiner Zelle betrachtete? Die wenigen Bruchstücke seiner Erinnerung waren ihm immer dann gekommen, wenn er etwas gesehen hatte, das früheren Begebenheiten glich. Er träumte auch nicht mehr von seiner Vergangenheit. Nur die geheimnisvolle Frau, die ihn in die Tiefe zog, verfolgte ihn noch immer.
    Irgendwann verlor er die Geduld, stundenlang die Mäuse zu beobachten. Sein Körper sehnte sich nach Bewegung. Immer wieder lief er die drei mal vier Schritte ab. Aber es nützte nichts. Seine innere Anspannung wurde nur größer. Am liebsten hätte er gegen die Tür getreten, geschrien und getobt, aber er nahm sich zusammen. Nur nicht auffallen. Nur nicht den Ärger der Wächter auf sich ziehen. Das hätte alles verschlimmert.
    Ein neuer Markttag zog ins Land. Der Tuchhändler stritt mit einer Kundin. Wie jedes Mal. Der Lärm war inzwischen zu einer angenehmen Abwechslung geworden.
    Seit drei Wochen saß er nun schon in dieser Zelle. Schon? Was war das schon? Nichts, verglichen mit der Zeit, die ihm womöglich noch bevorstand. Warum meldete der Stadtrat sich nicht endlich? Wusste er immer noch nicht, wohin er gehörte? Oder war er schon in Verhandlungen getreten? Und was war mit Bridas Vater? Hatte man seine Bürgschaft abgelehnt?
    Schritte vor der Tür. Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt. Erik sprang auf. Es war nicht die übliche Zeit, zu der die Wächter kamen.
    »Guten Morgen, Erik.« Der Stadtrat stand vor ihm.
    Erik merkte, wie er unruhig wurde. Seine Hände zitterten. Er verschränkte sie hinter dem Rücken. Nur keine Schwäche zeigen.
    »Ich hoffe, dass der Morgen gut ist«, antwortete er.
    »Ich denke schon«, versicherte ihm Claas.
    »Dann habt Ihr

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