Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
Sie mochte ihn, sie hatte ihn immer gemocht. Möglicherweise hätte sie vor seinem letzten Aufbruch ohne Zögern Ja gesagt. Wenn er sie gefragt hätte, bevor sie Erik kannte. Erik …
»Du musst dich nicht sofort entscheiden, wenn es dir zu schnell geht«, sagte er hastig, als er ihre Unentschlossenheit bemerkte. »Wir kommen in zwei Wochen zurück, bevor wir auf die nächste große Fahrt gehen. Ich kann warten. Aber ich hätte vor meiner nächsten Reise gern eine Entscheidung.«
Sie nickte, unfähig, etwas zu sagen. Sie kannte ihn seit Jahren, er war ein aufrechter Mann, auf den ihr Vater große Stücke hielt. Bei Cunard wusste sie, woran sie war. Es wäre nur vernünftig, ihn zu heiraten. Und doch ging ihr Erik nicht mehr aus dem Sinn. Erik, dessen wahren Namen sie nicht kannte. Von dem sie nicht wusste, welches Geheimnis er in sich barg oder ob er gar verheiratet war. Erik, der sie mit seinem Wesen bezaubert hatte, ohne es darauf anzulegen. Und dann seine Worte, kurz bevor er die Adela verlassen hatte … Kein Mann hatte ihr bislang ein Kompliment gemacht und war danach errötet, so wie er. Wenn er doch nur endlich seine Erinnerung wiederfände!
»Brida, darf ich deinen Vater fragen? Auch wenn du dir mit deiner Antwort noch Zeit lassen willst?« Cunard sah sie bittend an. »Ich meine, damit er meine Absichten kennt.«
Sie nickte. »Er hat sicher nichts dagegen, das weißt du doch. Er schätzt dich.«
Er schenkte ihr ein Lächeln. Cunard war kein Mann, der Geheimnisse aufwarf. Offen und zuverlässig. Der vollkommene Ehemann. Bis auf die Tatsache, dass er die meiste Zeit des Jahres auf See verbrachte.
Auf See …
»Wenn ich Ja sage, erfüllst du mir dann einen Wunsch?«
»Selbstverständlich.« Seine Augen leuchteten voller Zuversicht.
»Nimmst du mich auf deine Reisen mit? So, wie mein Vater es früher getan hat?«
Er schluckte. »Brida, es ist nicht üblich, dass der Kapitän seine Frau mit an Bord nimmt.«
»Es ist auch nicht üblich, dass der Kapitän seine Tochter an Bord aufzieht. Also, nimmst du mich mit, wenn ich mit dir verheiratet wäre?«
»Vielleicht auf die eine oder andere kürzere Fahrt«, versuchte er sich herauszureden. »Aber nicht auf die weiten Reisen. Das wäre zu gefährlich. Außerdem …« Er schluckte noch einmal. »… wenn wir erst Kinder haben, brauchen sie ein Heim an Land.«
»Ein Schiff kann ein wundervolles Heim für ein Kind sein. Sogar für ein Mädchen.«
»Ich weiß, du bist nicht wie andere Frauen, deshalb schätze ich dich auch so sehr. Aber … aber du kannst nicht von mir erwarten, dass ich mich allen Gepflogenheiten widersetze.«
»Nein, das kann ich nicht«, sagte sie leise. »Das konnte ich immer nur von meinem Vater erwarten.«
»Brida, glaubst du wirklich, dein Vater hätte dich als Kind mit an Bord genommen, wenn deine Mutter nicht so früh verstorben wäre? Das waren doch ganz andere Voraussetzungen.«
»Ja, das waren sie.« Brida atmete tief durch. »Ich gebe dir in zwei Wochen eine Antwort.«
»Ich täte alles, um dich glücklich zu machen.« Er ergriff ihre Hände. »Wenn du es wirklich willst, finde ich auch Wege, dich auf einige Reisen mitzunehmen.«
»Das weiß ich«, sagte sie, gerührt von seinem Werben, und konnte doch nicht verhindern, dass Eriks Bild ihr Herz erfüllte.
Die Adela legte am frühen Abend ab. Brida blickte vom Fenster ihrer Kammer aus auf den Hafen und sah, wie die stolze Kogge Fahrt aufnahm. Sie hatte es nicht über sich gebracht, die Adela unmittelbar am Kai zu verabschieden. Es tat noch immer weh, sie fortsegeln zu sehen. Als das Schiff schon längst außer Sicht war, gab sie sich noch immer ihren alten Erinnerungen hin.
Das Geräusch, wenn der Wind die Segel fasst. Der Ruck, der durch das Schiff geht, wenn der Hafen es aus seinen Fesseln entlässt. Der Geruch des Meeres, der Geschmack von salziger Gischt auf den Lippen. Schreiende Möwen, die das Schiff begleiten …
Sie seufzte. All das war für immer Vergangenheit. Selbst wenn sie Cunards Antrag annähme, mehr als ein paar kurze Fahrten wären ihr nicht mehr vergönnt.
»Fräulein Brida!« Mariekes Stimme dröhnte durch das ganze Haus. »Das Essen ist fertig!«
Ein weiterer Seufzer. Cunard hätte wenigstens noch mit ihnen essen können. Ihr Vater hatte ihn eingeladen, aber er wollte das Schiff vor Einbruch der Nacht im sicheren Lübecker Hafen wissen.
Hinrich war bester Laune. Brida hatte den Eindruck, dass es nicht nur an den erfolgreichen
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