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Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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meisten Männer in der kleinen Stadt. Kurz bevor er die Stufen zum Eingang des Rathauses erreichte, fiel sein Blick auf das vergitterte Oberlicht seiner alten Zelle. An dem Pfosten mit dem Eisenring war ein Pferd angebunden. Es war der Rappe mit den ungleichmäßig abgetretenen Eisen. Erik atmete einmal tief durch, dann betrat er das Rathaus. Er vermied es, auf die Kellertreppe zu schauen, und begab sich geradewegs in die Vorhalle. Ein untersetzter kleiner Mann, seiner Kleidung nach vermutlich ein Schreiber, sprach ihn an.
    »Was willst du hier?«
    »Ich wollte fragen, ob der Herr Stadtrat Claas zu sprechen ist.«
    »Der Stadtrat hat Wichtiges zu tun.«
    »Dann ist er hier?«
    »Wer bist du überhaupt, dass dich das was angeht?«
    Erik lächelte. Es tat gut, nicht sofort als der Däne erkannt zu werden, sondern wie jeder gewöhnliche Bittsteller von oben herab behandelt zu werden.
    »Der Stadtrat hat mich gebeten, ihn in Kenntnis zu setzen, wenn mir neue Erinnerungen zu meiner Herkunft kommen.«
    Die Überheblichkeit des Schreibers wandelte sich in Verwirrung. »Was soll das heißen?«
    »Ich bin der, der die letzten drei Wochen ein Stockwerk tiefer die Gastfreundschaft dieses Hauses genießen durfte, bevor Kapitän Hinrich für mich bürgte.«
    Die Augen des Mannes weiteten sich. »Ihr seid der Däne.«
    »Ist der Stadtrat hier?«, fragte Erik, ohne auf die Bemerkung einzugehen.
    »Ja, aber ich kann ihn nicht stören, er spricht gerade mit dem Bürgermeister.«
    »Dann warte ich.«
    Der Mann schnaubte verächtlich. »Aber steht nicht im Weg rum, und spuckt nicht auf den Boden.«
    »Keine Sorge, ich weiß mich zu betragen.« Erik deutete eine spöttische Verbeugung an.
    Er musste ziemlich lange warten. Heiligenhafen war eine kleine Stadt, dennoch wunderte er sich über das rege Treiben im Rathaus. Boten huschten mit Schriftstücken durch die Flure, geschäftig aussehende Männer verschwanden in irgendwelchen Räumen, oft genug in ernste Gespräche vertieft, von denen nur einzelne Wortfetzen zu ihm herüberwehten. Ein junges Mädchen, kaum dem Kindesalter entwachsen, schleppte einen schweren Eimer mit Wasser heran und scheuerte den Boden. Er sah ihr eine Weile zu, bis sie bemerkte, dass er sie beobachtete, und ebenfalls immer wieder zu ihm herüberspähte. Langsam, beinahe unauffällig schob sie ihren Eimer immer näher zu ihm heran, bis sie ganz dicht vor seinen Füßen die Fliesen schrubbte.
    »Kann ich Euch zu Diensten sein, Herr?« Sie blickte zu ihm auf. Ihre Augen leuchteten herausfordernd. Es war eindeutig, welchem Nebenerwerb sie nachging.
    »Wie alt bist du?«
    »Dreizehn«, antwortete sie. »Glaubt mir, ich versteh schon, was die Männer mögen. Bisher hat sich noch keiner beschwert.«
    »An mich wär’s verschwendet, ich hab kein Geld.«
    »Aber vielleicht dann, wenn Ihr wieder welches habt? Ihr könntet nach mir fragen. Ich bin die Johanna.«
    »Nein, du bist mir zu jung.«
    »Da wärt Ihr aber der Erste, den das stört. Und außerdem werd ich doch mit jedem Tag älter.«
    »Na, dann frag mich in fünf Jahren noch mal.«
    »Wollt Ihr hier wirklich so lange rumstehen?« Sie kicherte.
    »Kommt mir fast schon so lange vor«, antwortete er. »Aber ich habe wirklich keinen Bedarf an deinen Diensten, Johanna. Ich warte auf jemanden.«
    »Und ich dachte, Ihr steht hier nur, um mich anzuschauen. Ihr wärt ja wenigstens mal ’n hübscher Kerl gewesen, nicht so ’n oller, fetter wie die meisten hier.« Sie seufzte. »Da habe ich wohl kein Glück heute.« Dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu, und Erik fragte sich, ob er überhaupt einen Gedanken an ihr Schicksal verschwendet hätte, wenn sie tatsächlich fünf Jahre älter gewesen wäre. Warum ließ der Pfarrer so etwas eigentlich zu? Bestimmt wusste jeder, dass dieses Kind nicht nur die Böden schrubbte. Oder war der Gottesmann tatsächlich ahnungslos? Das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
    Endlich sah er Claas den Flur entlangkommen und stellte sich so, dass der Stadtrat ihn sofort sehen musste.
    »Guten Morgen, Herr Stadtrat. Habt Ihr eine kleine Weile Zeit für mich?«, sprach er ihn an. »Ihr wolltet doch, dass ich Euch über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden halte.«
    »Ihr habt Euch wieder an etwas erinnert?« Der Stadtrat wirkte gehetzt, Sorgenfalten gruben sich in seine Stirn.
    »Ja.«
    »Dann kommt.« Mit fahriger Geste zog Claas ihn in eine der kleinen Amtsstuben. Dort gab es nur ein Schreibpult und zwei Stühle.
    »Wenn ich

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