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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Fuhlsbüttler Straße und das Büro
im Chilehaus? Aber was kann er vorweisen? Die Aussage eines alten Tätowierers
im Dunstkreis der Reeperbahn. Und die Tatsache, dass Kümmel Linkshänder ist.
Der Staatsanwalt würde ihn auslachen. Stave könnte ihm nicht einmal ein
plausibles Motiv präsentieren.
    Also stürmt er noch einmal zu Cuddel Breuer. Wenn ihm der Chef alle
drei Mordfälle überträgt, dann wird er ihm auch ein paar Leute zuteilen. Hat er
erst einmal einige Beamte, dann kann er jemanden auf Kümmel ansetzen, ihn
beschatten lassen – wenn es sein muss, bis in die amerikanische Zone. Die
Erlaubnis dafür würde ihm MacDonald schon organisieren. Mal sehen, was der
Promoter so für Geschäfte macht. Und vielleicht würde Stave dann auf etwas
stoßen, das die Verbrechen erklären könnte: auf ein Motiv.
    »Vergessen Sie es, Stave«, entgegnet ihm Breuer knapp, als er ihm
von seinen Ermittlungen berichtet.
    »Walter Kümmel ist vielleicht ein Schmuggler.«
    »Das macht ihn noch lange nicht zu einem Mörder.«
    »Aber …«
    »Kein aber. Behalten Sie Ihre Theorien bloß für sich. Ich will
nicht, dass sich das herumspricht. Nicht im Haus und schon gar nicht bei den
Engländern.«
    »Was haben die Engländer damit zu tun?«
    Breuer hebt die Hände. »Besatzungssoldaten langweilen sich, das war
schon immer so. Die Tommies sind in dieser zerbombten Stadt. Was soll man da
tun? Wie soll man sich die Zeit vertreiben? Gelangweilte Soldaten sind
gefährliche Soldaten, unzufrieden, unberechenbar. Das will Gouverneur Berry
nicht. Das will Bürgermeister Brauer nicht. Und ich will das erst recht nicht.«
    »Engländer lieben Sport«, erwidert Stave resigniert.
    »Endlich haben Sie es kapiert. Gute Boxkämpfe zum Beispiel
vertreiben die Zeit. Bevor ich also den einzigen Mann in Deutschland verhafte,
der den Tommies diese Spektakel bietet, muss ich schon sehr gute Gründe dafür
haben. Bessere als die Aussage eines Tätowier-Willis. Bessere als ein Stift in
der linken Hand. Und selbst wenn Sie mich und die Engländer überzeugen: Das
macht Kümmel bestenfalls zu einem Verdächtigen im Mordfall Adolf Winkelmann.
Aber nicht bei Wilhelm Meinke, nicht bei Hildegard Hüllmann.«
    Der Kripochef schiebt seinen massigen Körper zum Fenster, fächelt
sich mit einem Blatt Papier Luft zu. »Diese Hitze macht die Leute noch
verrückt«, schnauft er. »Da kommen manche auf dumme Gedanken.«
    »Nämlich?« fragt der Oberinspektor misstrauisch.
    »Aufs Streiken, zum Beispiel. Bei Blohm & Voss, zum Beispiel.«
    »Das könnte die Engländer vom Sport ablenken.«
    »Machen Sie keine Witze. Das beschäftigt unsere Freunde in der
Esplanade 6. Die Arbeiter fordern höhere Lebensmittelzulagen. Und
selbstverständlich sind sie gegen die fortdauernde Demontage. Heute Morgen gab
es eine Betriebsversammlung. Viele rote Fahnen und dazu Reden, als hätte man
die Texte direkt aus Moskau telegrafiert.«
    »Wenn die Engländer unseren Laden demontieren würden, wäre ich
vielleicht auch Kommunist.«
    »Die Tommies haben unseren Laden demontiert – und sie haben ihn
anschließend wieder aufgebaut. Sonst säße ein Roter wie Sie nicht in einem Büro
am Karl-Muck-Platz.«
    »Neben Ihnen, Chef.«
    Breuer, der alte Sozialdemokrat, lächelt und nickt. »Momentan redet
eine Abordnung der Arbeiter mit den Herren Rudolf und Walther Blohm und mit
Gouverneur Berry«, fährt er fort. »Das wird sich nach meiner Einschätzung noch
ein paar Tage so hinziehen. Dann wird man sehen: Streik oder Weitermachen. Bis
dahin herrscht auf der Werft eine, sagen wir: erregte Stimmung.«
    »Wie kurz vor der Oktoberrevolution?«
    »Das zumindest fürchten die Engländer. Deshalb hat dieser Fall eine
Wendung genommen. Die britischen Behörden geben der Aufklärung des Mordfalles
nicht mehr allerhöchste Priorität. Das Letzte, was Gouverneur Berry jetzt haben
will, sind Polizisten, die bei Blohm & Voss herumschnüffeln und die
Arbeiter provozieren. Oder ihnen einen Vorwand geben zu was auch immer.«
    »Ich soll die Ermittlungen einstellen?«, platzt Stave ungläubig
heraus.
    »Nein. Sie sollen sich bloß in den nächsten Tagen nicht bei Blohm
& Voss sehen lassen. Sie sollen keine Werftarbeiter vorladen. Konzentrieren
Sie sich unterdessen auf andere Aspekte der Ermittlungen. Wenn sich die Lage
beruhigt hat, dann dürfen Sie Ihre Nase wieder bei Blohm & Voss
hineinstecken.«
     Bis dahin ist MacDonald in
Palästina, Erna Berg ist eine entehrte Frau und Walter Kümmel auf halbem

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