Schieber
amerikanische Zeitungsreporter waren auch
schon hier. Ein Fotograf von Life . Sogar ein General der US Army. Der hatte
Schmeling im Sommer 1938 in New York gesehen und war ganz wild hinter einem
Autogramm her. Ich habe ihm eines besorgt. Jetzt habe ich im Hauptquartier
einen Freund.«
Willst du mir mit einem General drohen?, fragt sich Stave. »Wann ist
es so weit?«
»Frühjahr oder Sommer 1948. Zuerst kämpft Max Schmeling hier.
Zehntausende Zuschauer, die Hälfte aller Karten reserviert für die britische
und amerikanische Armee, damit die Jungs was in die Heimat schreiben können.
Gegen Walter Neusel, da kann nichts schiefgehen. Nach dem Triumph geht es auf
den nächsten amerikanischen Dampfer!«
»Da ist garantiert viel drin«, murmelt Stave vorsichtig.
»Weniger als 1936 oder 1938. Die Amerikaner werden Schmeling und
mich mit der Hälfte dessen abspeisen, was sie selbst für einen Kampfabend
einstreichen würden. Aber die Hälfte von sehr viel ist immer noch viel – und
alles in Dollar. Ich bin schon vielfacher Millionär. Reichsmark.« Er lacht.
»Von den ganzen Scheinen könnte ich mir ein paar Kisten Zigaretten kaufen. Aber
sonst? Ein schönes Haus? Ausgebombt oder von den Engländern beschlagnahmt. Ein
schönes Auto? Wagen werden in Deutschland nicht mehr hergestellt.«
»Sie könnten Ihr Vermögen bei der Bank anlegen.«
»Auf die Idee sind schon andere gekommen. Und dann kam ein Weltkrieg
und eine wahnsinnige Inflation, und alles war futsch. Und dann haben sie wieder
ihr Geld zur Bank getragen. Und dann kam wieder ein Weltkrieg und der
Schwarzmarkt, und alles war futsch. Jetzt tragen die Braven ihr Geld zum
dritten Mal zur Bank. Dabei stehen die Russen schon an der Elbe und laden die
Gewehre durch!« Er schüttelt den Kopf, mitleidig aus dem Fenster blickend, aber
Stave hat den Eindruck, der Promoter mache sich auch über ihn lustig. »Nein«,
fährt er fort, »es gibt Gewinner, und es gibt Verlierer. Das gilt auch für
Länder. Deutschland ist ein Verliererland. Dazu muss man nur nach draußen sehen
auf die Fassade gegenüber, hinter der nichts mehr ist als Luft und Himmel.
Amerika ist ein Gewinnerland. Wird langsam Zeit, daraus die Konsequenzen zu
ziehen, finden Sie nicht?«
»Ich kann mich ja als Sheriff bewerben«, brummt Stave und erhebt
sich. »Vielen Dank für Ihre Auskünfte. Und für den Tipp.«
Als der Oberinspektor ins Freie tritt, blinzelt er gegen
grelles Sonnenlicht, das ein gekipptes Bürofenster genau auf den Eingang
spiegelt. Im Innenhof des Chilehauses lastet die Luft wie auf dem Grund eines
Bergwerkes. Langsam geht er Richtung Karl-Muck-Platz. Warum sollte jemand wie
Kümmel, der auf dem Sprung ist nach Amerika, die große Chance seines Lebens
riskieren, indem er sich auf Schmuggelgeschäfte einlässt? Und doch hat
Tätowier-Willi ihn als einen der großen Hintermänner im Schmuggel am Hafen
genannt. Was verschiebt Kümmel? Medikamente? Aber der Promoter selbst hat ihm
soeben gesagt, dass ihm Reichsmarkscheine und Zigaretten gleichgültig sind.
Lässt er sich in Dollars bezahlen, um seine Reise mit Schmeling vorzubereiten?
Das würde bedeuten, dass er Sachen aus Deutschland hinausschmuggelt, nicht
hinein. Und eines ist sicher: Für Tonbänder wird er höchstens ein paar
Dollarnoten kassieren, wenn überhaupt. Was also dann?
Noch in der Kripo-Zentrale nagt in Stave das Gefühl, irgendetwas
vermasselt zu haben. Vorhin, im Chilehaus, da hat er etwas gesehen, das
irgendwo in seinem Hirn eine Alarmglocke schrillen ließ. Aber was? Ich habe zu
viele andere Sorgen, sagt er sich, das wird langsam zum Problem. Er schließt
die Augen und versucht, sich an alle Einzelheiten seines Besuches zu erinnern.
Das Chilehaus. Das Schild am Treppenaufgang mit dem Namen des Boxpromoters. Das
winzige, leere Vorzimmer. Die Zwischentür. Stave tritt ein, Kümmel beendet
hastig sein Telefongespräch. Mit wem hat er telefoniert? Ein Wort, das Stave
halb vernommen hat und nun in seinem Geist herumspukt? Das Telefon …
»Was bin ich für ein Idiot!«, entfährt es dem Oberinspektor. Die
Hitze, das muss diese verdammte Hitze sein. Kümmel hat telefoniert, als er in
sein Büro hineingeplatzt ist – mit dem Hörer in der Rechten. Den Stift, mit dem
er sich Notizen machte, hielt er in der anderen Hand.
Walter Kümmel ist Linkshänder.
Soll er zu Ehrlich gehen? Mit Hilfe des Staatsanwaltes bei
einem Richter einen Haftbefehl beantragen? Oder wenigstens einen
Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung in der
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