Schieber
Weg
nach Amerika, denkt der Oberinspektor düster.
»Ich konzentriere mich auf die anderen Ermittlungsansätze«, sagt er
und hofft, dass Cuddel Breuer ihm diese Lüge nicht ansieht.
Als Stave zu seinem Büro zurückkehrt, überrascht er Erna
Berg und MacDonald in inniger Umarmung. »Wollt ihr das Baby gemeinsam
ausbrüten?«, brummt er.
Die beiden lösen sich voneinander. »Man muss die Gelegenheiten
nutzen, wie sie kommen«, erwidert MacDonald und streicht seine Uniform glatt.
»Ich wollte eigentlich zu Ihnen.«
Der Oberinspektor blickt Erna Berg warnend an. »Keine Fiesematenten.
Was wäre gewesen, wenn statt mir einer der Kollegen hier hereingeplatzt wäre?
Der Dönnecke zum Beispiel.«
»Der Dönnecke würde niemals freiwillig zu Ihnen kommen«, entgegnet
seine Sekretärin, ihr rundes Gesicht rot und strahlend. Ihr Lächeln versetzt
Stave einen Stich. Nächste Woche bist du hier erledigt, denkt er, wenn mir
nichts einfällt.
»Sie kommen zum passenden Augenblick«, sagt er zu MacDonald und
deutet auf sein Büro. »Wir müssen ein paar Dinge besprechen.«
»Dienstlich?«
»Dinge, die man nur unter vier Augen besprechen sollte.«
Er führt den Lieutenant in sein Zimmer und schließt, Erna Berg ein
entschuldigendes Lächeln zuwerfend, die Tür.
»Wir stecken bis zum Hals in der Scheiße«, verkündet er, sobald das
Schloss zugeschnappt ist.
MacDonald zieht erstaunt eine Augenbraue in die Höhe. »Diese
Formulierung hat man mir im Deutschunterricht nicht beigebracht.«
»Sie verstehen, was ich damit meine.«
»Es gibt da im Englischen die eine oder andere Entsprechung. Ich
werde Sie Ihnen beibringen, bei passender Gelegenheit.«
»Dies ist die passende Gelegenheit.« Stave seufzt und lässt sich
schwer auf seinen Stuhl fallen. Breuer hat recht. Wenn doch endlich ein Gewitter
niederginge! Er blickt nach draußen: Der Himmel ist grau wie flüssiges Blei,
die Luft flirrt über dem Karl-Muck-Platz. Aber bis zum Horizont ist kein
einziger Wolkenturm zu sehen. Stave erzählt von der Befragung Walter Kümmels
und vom drohenden Streik bei Blohm & Voss.
»Ihr Chef will nicht, dass Sie zur Werft gehen. Mein Chef will
nicht, dass ich hingehe.« MacDonald streicht sich über seine blonden Haare, in
denen feine Schweißperlen glitzern. Er ist blass geworden.
»Die Geschichte ist faul«, erklärt der Oberinspektor. »Das kann man
mit Händen greifen. Aber ich kann die losen Fäden nicht verknüpfen. Warum
sollte ein erfolgreicher Boxpromoter wie Kümmel seine Zukunft riskieren und
schmuggeln? Und wenn er doch schmuggelt, was schafft er aus Deutschland hinaus
und hinein?«
»Selbst wenn wir das in den nächsten Tagen herausfinden: Warum
sollte Kümmel den Jungen umgebracht haben?«
»Wir werden die Antworten auf alle Fragen nur an einem einzigen Ort
finden.«
»Blohm & Voss.«
»Sehr schade, dass wir da nicht ermitteln dürfen.«
»Ich spüre die Scheiße schon an meinem Hals.« MacDonald lächelt.
»Wer fragt da noch nach einer Erlaubnis?«
»Sie wollen trotzdem hingehen? Es wurde uns verboten.«
»Das Problem mit euch Deutschen ist, dass ihr so viele Verbote
erlasst. Und dass ihr euch auch noch daran haltet.«
»Das muss mir ausgerechnet ein Soldat erzählen!«
»Die Hälfte meiner Zeit verbringe ich damit, Befehle zu ignorieren.
Die andere Hälfte damit, Befehle zu umgehen.«
»So wird man General.«
»Ein General ohne Illusionen darüber, dass irgendjemand seine
Befehle befolgt.«
Stave deutet auf MacDonalds Uniform. »Damit werden Sie die Arbeiter
auf der Werft lynchen.«
»Ich komme in Zivil. Wie Sie.«
»Wir gehen beide?«
MacDonald lacht. »Jeden Morgen setzen Hunderte Arbeiter in Barkassen
über die Elbe. Und dazwischen: Immer ein paar Kerle in Anzügen und mit
Aktentaschen.«
»Ingenieure. Buchhalter.«
»Biedere Männer – wie wir. Ich besorge mir sogar eine Aktentasche.
Wir werden nicht auffallen.«
»Bis Sie Ihren Mund aufmachen. Man hört die englische Aussprache.«
»Dann müssen Sie das Reden übernehmen. Sie sind bei der Kripo, Sie
sind der Profi.«
»Mal angenommen, wir kommen unentdeckt über die Elbe. Und dann?«
»Dann sehen wir uns auf der Werft um.«
Stave erinnert sich an die zerstörten Helligen, die zerbombten
Docks, die Wracks an den Kais. »Wird nicht ganz einfach sein, dort
herumzuschnüffeln«, warnt er. »Wir wissen nicht einmal, wonach wir überhaupt
suchen.«
Der Lieutenant zuckt mit den Achseln. »Wir lassen uns etwas
einfallen, wenn wir erst einmal da
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