Schieber
sind.«
»Und wenn wir erwischt werden?«
»Dann«, MacDonald lächelt sardonisch, »springen wir beide in die
Elbe.«
Hafen
Dienstag, 17. Juni 1947
Fünfunddreißig Grad. Stave würde am liebsten bloß in Hemd
und Sommerhose am Pier der Landungsbrücken stehen. Doch um als Angestellter
durchzugehen, hat er sich eine Krawatte umgebunden und ein Jackett übergezogen.
Das verbirgt immerhin die Pistole im Holster. Die Hutkrempe hat er dicht über
die Augen gezogen, so, als würden ihn die Lichtreflexe auf dem Wasser blenden.
Kann ja sein, dass der eine oder andere Werftarbeiter ihn sonst von seinen
Ermittlungen am Tag des Mordfalls wiedererkennen würde.
Der Mann, der nun auf ihn zugeht, trägt einen so unauffällig
irgendwo zwischen grau und blau changierenden Anzug, dass der Oberinspektor ihn
zunächst nicht bemerkt. MacDonald. Auch er hat eine Krempe über dem Gesicht –
und trägt in der Rechten tatsächlich eine Aktentasche.
»Ist da eine Maschinenpistole drin?«, flüstert Stave.
»Zwei Sandwiches und eine Thermoskanne Tee. Hunger?«
»Lassen Sie die Tasche zu! Ich komme mir jetzt schon so unauffällig
vor wie ein Mann in Unterhose auf der Mönkebergstraße.« Unbehaglich sieht sich
der Oberinspektor um.
Eine Hochbahn fährt ratternd ein. Als ihre Türen aufspringen,
quellen Tallymänner, Stauer, Quartiersleute, Schweißer, Nieter heraus, Arbeiter
in dunklen Cordhosen und kragenlosen, gestreiften Hemden, manche mit
Schirmmützen, viele barhäuptig. Die meisten haben sich einen Zampel über die
Schulter geworfen, die an eine Kordel gebundene Tasche für die Blechbüchse mit
dem Mittagsbrot, dazu die Kaffeeteng in der Faust – eine Kanne, in der oft
genug nicht Ersatzkaffee schwappt, sondern Hochprozentiges. Denn Alkohol ist im
Hafengebiet offiziell verboten. Kurze, harte Sätze, ein paar deftige Beleidigungen
auf Plattdeutsch oder Polnisch. DPs, fährt es dem Kripo-Mann durch den Kopf.
Die meisten Männer eilen jedoch schweigend Richtung Pier.
Barkassen am Ufer, das Tuckern ihrer Motoren übertönt zumeist die
kargen Worte. Stave ist froh, dass zumindest noch einige weitere Herren in
Jackett und Schlips ausgestiegen sind. Viele Arbeiter sind müde, hager,
unrasiert und stinken nach Schweiß und Schmieröl und Bier. Der Oberinspektor
und MacDonald lassen sich von den kräftigen Leibern mitreißen, springen auf die
nächste Barkasse. Irgendein System kann Stave dabei nicht erkennen. Wir werden
schon ankommen, macht er sich Mut. Enge auf den Holzbänken, das leichte
Schwanken, als immer mehr Männer an Bord springen. Dann heult die Maschine auf,
bitterer Kohlenqualm steigt auf, ein raues Kommando – und der letzte Tampen
wird gelöst. Auf der Elbe. Kein Zurück mehr, denkt Stave und mustert die
Umstehenden. Er fragt sich, ob es wirklich eine gute Idee ist, heimlich auf der
Werft zu ermitteln. MacDonald lächelt ihn an. Der junge Engländer sieht aus,
als würde er gleich zu einem Fußballspiel auflaufen. Vielleicht ist das hier
harmlos im Vergleich zu dem, was der Lieutenant im Krieg gemacht hat.
Die Barkassen kriechen wie Asseln über die graue Fläche der Elbe.
Der Oberinspektor versucht sie zu zählen, doch er scheitert am Dunst, am
schwarzen Qualm aus den Schornsteinen, an einem Schlepper, der ihren Weg kreuzt
und ihm die Sicht nimmt.
»Der holt einen Tanker ab«, sagt halblaut ein Hüne neben Stave auf
der Bank. Der Oberinspektor will etwas Unverbindliches antworten, da bemerkt
er, dass ihn sein Nebenmann gar nicht angesprochen hat, sondern mit seinem
Nachbarn zur anderen Seite redet: ein Monolog in kurzen, halblauten Sätzen,
unterbrochen manchmal vom zustimmenden Brummen des anderen, der seine vor
Müdigkeit rot geränderten Augen kaum offen halten kann. Stave hört mit, das
Gesicht abgewandt, damit es nicht auffällt, alte Kripo-Marotte. Bald weiß er,
dass der Riese Fietje Pehns heißt und über einen »Stall« flucht. Es dauert ein
paar Augenblicke, bis der Oberinspektor begriffen hat, dass das eine
Arbeitsvermittlungsstelle sein muss, irgendwo im Hafen. Pehns ist einer von
Tausenden unständiger Arbeiter, einer jener Schauerleute, die nicht fest
angestellt sind. Die finden sich vor dem Stall ein, wo man ihnen Arbeit zuweist – falls ein Schiff in den Hafen einläuft, das von den ständigen Arbeitern nicht
be- und entladen werden kann. Pehns schimpft auf Rahlstedt, wo er wohnt, seit
ihn die Engländer 1943 aus St. Pauli hinausgebombt haben. Auf das frühe
Aufstehen um 4.30 Uhr. Auf den
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