Schieber
einer Tröstung.
»Morgen ist James dran, wenn nichts passiert«, flüstert seine Sekretärin.
»Palästina … Meinen Sie, ich darf mitreisen?«
Eher dürfen wir einen neuen Reichskanzler wählen, als dass die
Engländer ein deutsches Fräulein zu den Arabern und Juden schicken, denkt
Stave. Laut sagt er aber: »Möglich ist alles.« Dazu ein Lächeln. Sie weiß
nicht, was MacDonald und ich in der nächsten Nacht vorhaben. »Ich werde sehen,
was ich tun kann.«
»Sie?«
»Lassen Sie sich überraschen.« Kann sein, dass ich euer Glück rette,
denkt er. Kann aber auch sein, dass dir morgen nicht nur dein Liebhaber
abhandenkommt, sondern auch dein Vorgesetzter, weil der sich aus dem Amt
katapultiert hat. Nicht auszudenken, wenn Erna Berg an einen wie Cäsar Dönnecke
geriete. Das bringt ihn auf eine Idee.
»Ich bin beim Chef«, verkündet er.
»Es gibt eine schmale Grenze zwischen Hartnäckigkeit und
Dummheit«, erklärt ihm Cuddel Breuer fünf Minuten später, »und Sie schrammen da
gerade entlang.«
»Wenn ich die Fälle schon nicht übernehmen darf, dann geben Sie mir
wenigstens Kopien der Akten«, fleht der Oberinspektor. Er möchte wissen, ob es
in den Fällen der toten Prostituierten und des Kohlenklauers irgendwelche
Hinweise auf Tonbänder oder den Hafen gibt. Irgendetwas, das ihm verriete, wo
das Versteck sein könnte. Ein weiteres Indiz, das Kümmel belasten könnte. Oder
ein Hinweis darauf, ob der Schmuggler Komplizen hat.
»Nein.«
»Sagen Sie mir wenigstens, ob Kollege Dönnecke schon jemanden
verhaftet hat.«
»Keine Verhaftung. Kein neues Verhör. Keine Spuren, soweit ich
weiß.«
Keine Mühe, denkt Stave, der gibt sich keine Mühe.
»Und wie ist es bei Ihnen? Kommen Sie in Ihrem Fall weiter?« Breuer
blickt ihn aus seinen klaren Augen aufmerksam an. »Die Engländer werden immer
nervöser wegen der angespannten Lage bei Blohm & Voss. Gouverneur Berry hat
mich für morgen Nachmittag zum Tee gebeten. Ich nehme an, dass wir nicht nur
über das Wetter plaudern werden.«
»Sie werden ein anderes Thema besprechen können«, verkündet der
Oberinspektor und erhebt sich. Hier kommt er nicht weiter. Er wird jemand
anderen um Unterstützung bitten. Jemanden, mit dem er im Moment eigentlich kein
einziges Wort wechseln will. Er wird Staatsanwalt Dr. Alfred Ehrlich einen
Besuch abstatten.
Hoffentlich laufe ich nicht Anna über den Weg, sagt er
sich, als er sich auf den Weg zur wuchtigen Residenz der Staatsanwaltschaft
macht. Es wäre ein peinliches Zusammentreffen. Sie müsste endgültig denken,
dass er ihr hinterherschnüffelt. Und er würde es nicht ertragen, sie in der
Nähe Ehrlichs zu sehen. Stave hat, was das angeht, Glück: Der Staatsanwalt ist
allein in seinem Büro. Auf seinem Schreibtisch türmen sich geöffnete
Leitzordner, Briefe, Dokumente mit offiziellen Stempeln – Wehrmachtsbefehle,
vermutet der Oberinspektor. Ehrlich scheint der einzige Mensch in ganz Hamburg
zu sein, dessen Haut nicht von der Sonne gezeichnet ist. Die Augen hinter
seiner übergroßen Brille schimmern rötlich entzündet. »Damals bedeutete es
weniger Verwaltungsaufwand, ein ganzes Volk auszulöschen, als heute einen
einzigen Mann vor Gericht zu stellen«, seufzt Ehrlich.
»Das nennt man Fortschritt«, erwidert Stave. »Und es sichert Ihnen
auf Jahre hinaus Arbeit.«
»Falls man in einigen Jahren überhaupt noch an derartigen Prozessen
Interesse hat.« Der Staatsanwalt wedelt mit der Rechten eine Fliege von seinem
Schreibtisch. »Sie sind aber nicht zu mir gekommen, um mich klagen zu hören.«
Der Oberinspektor lächelt. Es ist unmöglich, Ehrlich nicht zu mögen,
trotz allem. »Ich bin dabei, einige Gesetze zu brechen, und möchte, dass Sie
mir dabei helfen«, beginnt er.
Ehrlich zieht seine beiden buschigen Augenbrauen hoch. »Mit
gebrochenen Gesetzen kenne ich mich aus.«
Stave erklärt ihm mit knappen Worten von seinem Verdacht, dass bei
Blohm & Voss geschmuggelt wird. Von der »Leland Stamford«. Von Walter
Kümmel, dem Boxpromoter, dem Freund der Briten, dem Linkshänder, dem
Großschmuggler. Von seinem Plan, in dieser Nacht im Sperrgebiet zuzuschlagen.
»Allein?«, fragt Ehrlich.
»Mit einem«, er zögert, »englischen Freund.«
»Dessen Vorgesetzte darüber so wenig wissen wie Ihre Vorgesetzten?«
»Sonst müsste ich mich nicht bei Ihnen absichern.«
»Ein deutscher Staatsanwalt kann in diesem Fall wenig machen. Wenn
man Sie schnappt, landen Sie vor einem britischen Gericht, nicht vor
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